Wir Wermelskirchener erinnern uns.
An den Gang ins Kino, der immer auch ein kleiner Spaziergang durch die Stadt war. An Abende, an denen man sich fein machte, an Nachmittage mit klebrigem Bonbonpapier in der Jackentasche und an dieses besondere Gefühl, wenn das Saallicht langsam dunkler wurde.
Und wir erinnern uns an das Kino an der Telegrafenstraße.
Manche von uns kennen es noch als Reichshallen-Lichtspiele, andere nur als Film-Eck. Wieder andere sind erst vor Kurzem nach Wermelskirchen gezogen und staunen, dass es hier ein Kino gibt, das anders ist als die großen Häuser in den Städten ringsum. Aber egal, wann man dazugekommen ist – dieses Kino gehört zu unserer Stadt.
Schon lange bevor hier Filme liefen
Was viele nicht wissen oder längst vergessen haben: Der Saal an der Telegrafenstraße war schon lange ein Mittelpunkt des städtischen Lebens, bevor der erste Film über die Leinwand flimmerte. Bereits 1890 wurde er gebaut – als Ort für Varieté, Theater, Tanz und große Feste. Unsere Großeltern erzählten noch von Bällen, Vereinsabenden und Aufführungen, bei denen der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt war.
1927 kam dann etwas Neues. Etwas, das die Welt verändern sollte.
Als das Kino einzog
Am 14. Oktober 1927 eröffneten die Reichshallen-Lichtspiele. Wir erinnern uns – oder haben es erzählt bekommen – wie neugierig die Menschen waren. Kino war kein alltägliches Vergnügen, sondern etwas Besonderes. Die Leinwand war eigentlich eine weiß gestrichene Bühnenkulisse, die Stühle zusammengeschraubt, der Projektor laut und heiß. Und trotzdem: Es war Magie.
Die Filme waren stumm, aber nie still. Ein Klavier begleitete das Geschehen, manchmal schwungvoll, manchmal dramatisch. Wer damals im Saal saß, war mittendrin.
Der Tonfilm – plötzlich sprach die Leinwand
1931 wurde aus dem Staunen ein echtes Ereignis: Der Tonfilm kam nach Wermelskirchen. Die Zeitung schrieb begeistert darüber, und viele von uns erinnern sich an die Erzählungen: Man hörte Stimmen, Musik, Geräusche – alles kam plötzlich aus der Leinwand. Der erste Tonfilm hieß „Eine Freundin so goldig wie Du“, und man sagte: Jetzt ist Wermelskirchen ganz vorne dabei.
Menschen, die das Kino geprägt haben
Wenn wir an dieses Kino denken, denken wir auch an Menschen. An Leo Michel, den Filmvorführer, der über Jahrzehnte oben im Vorführraum stand. Viele kannten ihn, auch wenn man ihn selten sah. Ohne ihn hätte manches Bild geflackert, manches Band gerissen. Er hielt das Kino am Laufen – technisch, zuverlässig, still.
Und natürlich denken wir an die Familie Schiffler, die das Kino über Generationen hinweg getragen hat. Von Ewald Schiffler über seine Töchter Ada und Luise bis hin zu Klaus und Christel Schiffler – dieses Kino war immer auch Familiensache.
Die große Kinozeit
Nach dem Krieg, in den 1950er-Jahren, erinnern wir uns an volle Säle. Manchmal zu voll. Über 500 Plätze, und trotzdem reichte es oft nicht. Es wurde eng, warm, laut – aber niemand störte sich daran. Kino war Treffpunkt, Ausgehen, Gemeinschaft.
1952 wurde alles modernisiert. Neue Farben, neue Bestuhlung, ein großer Vorhang, ein leuchtender Schriftzug draußen. Für viele von uns war das Kino danach „richtig schick“.
Breite Bilder und neue Technik
Als die Bilder breiter wurden – Cinemascope hieß das Zauberwort –, wurde wieder umgebaut. Säulen verschwanden, Balkone wurden gekürzt, die Leinwand riesig. Wir saßen staunend davor und ließen uns hineinziehen in Western, Heimatfilme, Liebesgeschichten.
Als es schwieriger wurde
Dann kamen andere Zeiten. Fernsehen, Video, neue Freizeitangebote. Wir erinnern uns, dass man plötzlich nicht mehr automatisch ins Kino ging. Viele Häuser schlossen. Auch hier stand die Frage im Raum: Geht es weiter?
1972 übernahmen Klaus und Christel Schiffler das Kino. Kein leichter Schritt. Viele sagten damals: „Das lohnt sich doch nicht mehr.“ Ich dieser Zeit begann auch ich das Kino regelmäßig zu besuchen.
Der Neuanfang als Film-Eck
1986 kam der mutige Schritt: Verkleinerung statt Schließung. Der große Saal wurde zum gemütlichen Kino. Weniger Plätze, mehr Nähe. Eine Bar im Saal. Keine Werbung, keine Hektik.
Wir erinnern uns, wie ungewohnt das zuerst war – und wie schnell man es mochte.
Mehr als nur Filme
Heute erinnern wir uns nicht nur an Filme, sondern an Begegnungen:
An das Traumkino mit Kaffee und Kuchen.
An das Kirchenkino, das zum Nachdenken anregt.
An Theaterabende, Lesungen, Diskussionen.
Und an Montage, die für viele zu einem festen Termin geworden sind.
Digital – und doch vertraut
Auch hier hat sich alles verändert. Der Film kommt heute nicht mehr auf schweren Rollen, sondern als Datenpaket. Kein Rattern mehr aus dem Vorführraum. Und doch ist es immer noch unser Kino.
Als 2013 der erste digitale Film lief, war der Saal voll. Vielleicht auch, weil wir spürten: Es geht weiter.
Warum wir uns erinnern
Wir erinnern uns, weil dieses Kino Teil unserer Geschichte ist.
Weil wir hier gelacht, geweint, gestaunt haben.
Weil wir als Kinder hier saßen – und später mit unseren Kindern zurückkamen.
Und weil Orte wie dieser zeigen, dass Wermelskirchen mehr ist als Straßen und Häuser. Es sind die Geschichten, die bleiben.
Und solange im Film-Eck das Licht ausgeht und die Leinwand hell wird, erinnern wir uns – und kommen wieder. Vielleicht sogar zur aktuellen Vorstellung oder zum nächsten Event.
Lutz Balschuweit
Fotos: Familie Schiffler


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