Buchtipp: „Hermanns Bruder“:Der Anti-Nazi Albert Göring

VON WOLFGANG HORN

Vor wenigen Tagen habe ich hier den Hinweis auf eine Lesung am 22. September in Wuppertal mit dem Schauspieler und Sprecher Olaf Reitz veröffentlicht, in der es um das gedruckte und das Hörbuch des Australischen Autors William Hastings Burke geht, „Hermanns Bruder. Wer war Albert Göring?“.

Nun habe ich mir zwischenzeitlich das E-Book dieses Werks zugelegt und es auf meinem Tablet nachgerade verschlungen.

1946 müssen sich beim Nürnberger Prozess gegen die Verantwortlichen des Nazi-Regimes zwei Brüder verantworten. Der eine von ihnen heißt Hermann Göring (1893–1946) und ist hinlänglich bekannt. Vor dem NS-Kriegsverbrechertribunal ist er als ranghöchster Nationalsozialist angeklagt.

Nur wenige Zellen weiter sitzt sein jüngerer Bruder Albert Göring (1895–1966) ein. Dieser behauptet nun zum ungläubigen Erstaunen der Amerikaner, eine Art Widerstandsheld zu sein. Juden habe er gerettet und auch mit dem Untergrund zusammengearbeitet.

Ärgerlich notiert der US-Ermittler, hier handele es sich um einen der „plattesten Versuche der Reinwaschung und Ehrenrettung“: „Albert Görings Mangel an Raffinesse lässt sich allenfalls noch mit der Körpermasse seines fettleibigen Bruders vergleichen.“ Nunmehr trägt Albert Göring zu seiner Rechtfertigung eine Liste mit 34 Namen von Personen zusammen, die er „bei eigener Lebens-Gefahr“ gerettet haben will. Eine Liste, die sich heute in einem Archiv in Washington finden läßt.

Ein junger Australier, William Hastings Burke, macht mehr als 60 Jahre später diese Liste zum roten Faden für eine eigene Recherche über Albert Göring, nachdem er zuvor eine BBC-Dokumentation über ihn ihn Australien gesehen hatte. Soll der kleinere Bruder des berüchtigten Reichsmarschalls wirklich ein Nazi-Gegner gewesen, sozusagen in den Spuren von Oskar Schindler tätig gewesen sein? So begibt sich der junge australische Volkswirtschaftler Burke auf eine Weltreise, um der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Das Ergebnis dieser Recherchereise ist jetzt nachzulesen in seinem Buch „Hermanns Bruder. Wer war Albert Göring?“.

Im Zentrum des Buches stehen die Interviews mit Hinterbliebenen jener Personen, die Albert Göring auf seiner Liste verewigt hatte. Dazu gehört etwa George Pilzer, Sohn des jüdischen Filmindustriellen Oskar Pilzer, den Goebbels aus dem Weg räumen wollte. Pilzer wurde von der Gestapo verhaftet. Doch Albert Göring erhielt einen Tipp: „Mithilfe seines Nachnamens setzte er alle Hebel in Bewegung – aber wirklich alle, um erstens herauszufinden, wo mein Vater war, und zweitens für seine sofortige Freilassung zu sorgen.“

Auch für Prominente hatte Göring sich erwiesenermaßen eingesetzt, etwa für die Schauspielerin Henny Porten, den österreichischen Ex-Kanzler Franz-Johann Schuschnigg oder den Komponisten Franz Lehár. Dieser der Lieblingskomponist von Adolf Hitler. Auf Intervention von Albert Göring wurde dessen jüdische Ehefrau zur „Ehrenarierin“ ernannt.

Manches an Albert Göring erinnert an Oskar Schindler. Wie dieser ein Mann mit Stil, das Leben in vollen Zügen genießend. Gutes Essen, elegante Kleidung, schöne Frauen. Dreimal verheiratet erwies sich Albert Göring leider nicht immer als Ehrenmann. Er schob etwa seine todkranke zweite Frau in ein Heim ab, um sich einer tschechischen Schönheitskönigin zu widmen. Wie Schindler ein brüchiger Held. Und mit ihm teilte er auch das unglückliche Nachkriegsschicksal.

William Hastings Burke

Es ist Burkes Verdienst, dieses ungewöhnliche Lebensschicksal aus der historischen Versenkung geholt zu haben. Seine Recherchen können sich sehen lassen, lesen lassen. Das Buch ist flüssig geschrieben und so auch übersetzt, locker im Ton und verwebt die Rerchercheergebnisse und Interviews mit seiner eigenen Reise, mit ausführlichen Reisereflektionen und Ortsbeschreibungen, und auch ihren Hinderlichkeiten in den vielen Stationen in Europa. Ein Lesebuch sozusagen. Eins mit historischem Zugewinn.

William Hastings Burke • Hermanns Bruder. Wer war Albert Göring? • Aufbau Verlag, Berlin • 237 Seiten • 19,99 Euro • ISBN 978–3–351–02747–6

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.