“Ukrainerinnen nicht in den Niedriglohnsektor drängen”

VON FABIO GHELLI

Mehr als 80 Prozent der Geflüchteten aus der Ukraine sind Frauen. Viele von ihnen sind überdurchschnittlich gut qualifiziert. Wie verhindert werden kann, dass sie in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse gedrängt werden, darüber hat der MEDIENDIENST vergangene Woche ein Pressegespräch veranstaltet:

Geflüchtete Frauen aus der Ukraine sind in der Regel gut qualifiziert. Dennoch besteht die Gefahr, dass viele im Niedriglohnsektor landen, warnen Fachleute.

REFERENTINNEN

  • Dr. Yuliya Kosyakova, Arbeitsmarktforscherin, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)
  • Ildikó Pallman, Sozialwissenschaftlerin beim Minor Projektkontor für Bildung und Forschung, sie beschäftigte sich in mehreren Untersuchungen damit, wie Frauen mit Migrationserfahrung besser in den Arbeitsmarkt gelangen können
  • Katheryna Nezhentseva, ukrainische Krankenschwester am Rheinland Klinikum Neuss

STATEMENTS AUS DEM GESPRÄCH:

Dr. Yuliya Kosyakova, Arbeitsmarktforscherin

Mehr als 80 Prozent der Geflüchteten aus der Ukraine sind Frauen. Dadurch entstehen spezifische Herausforderungen – aber auch Chancen. 

In der Vergangenheit haben geflüchtete Frauen besondere Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche gehabt, weil viele Berufe wie etwa Lehrerin, Erzieherin oder Rechtsanwältin gute Sprachkenntnisse erfordern. Diese sind bei Geflüchteten zunächst nicht vorhanden. Doch sehr viele geflüchtete Frauen aus der Ukraine bringen überdurchschnittlich gute Qualifikationen mit. Wie gut sie diese in Deutschland nutzen können, hängt davon ab, ob Deutschland die richtige Voraussetzungen für eine schnelle Arbeitsmarktintegration schafft. 

Inzwischen gibt es zwar zahlreiche Beratungsangebote und Integrationskurse für Geflüchtete. Es braucht aber auch ausreichende Betreuungsangebote für Kinder, damit die Geflüchteten die Integrationsangebote nutzen können. Ein weiteres Problem: Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt hängen von den Aufenthaltsperspektiven ab. Die meisten ukrainische Geflüchtete haben im Moment eine Aufenthaltserlaubnis nur für ein Jahr.

Ildikó Pallman, Minor Projektkontor für Bildung und Forschung

In der Vergangenheit neigten die Jobcenter viel zu oft dazu, Hochschulabsolventinnen in Berufe zu drängen, für sie sie deutlich überqualifiziert waren: Ingenieurinnen und Apothekerinnen – etwa aus Syrien – wurden dazu gezwungen, Arbeitsstellen als Pflegerinnen oder Reinigungskräfte anzunehmen. 

Zum Glück hat sich da etwas geändert: Die Arbeitsagenturen versuchen derzeit, den geflüchteten Frauen Zeit zu geben, um in Deutschland anzukommen – und passende Arbeitsangebote zu finden. Auch ist zu begrüßen, dass ab Juni Geflüchtete aus der Ukraine Leistungen nach SGB II beziehen werden – und somit Zugang zu Vermittlungs- und Beratungsangebote der Bundesagentur für Arbeit haben werden. Dennoch ist die Gefahr, dass viele geflüchtete Frauen in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen landen, nach wie vor sehr groß. Flüchtlinge dürfen nicht in den Niedriglohnsektor gedrängt werden.

Katheryna Nezhentseva, Krankenschwester im Rheinland

In der Ukraine habe ich 17 Jahre auf einer Intensivstation gearbeitet, davon 10 Jahre in einer Kinderintensivstation. Als ich 2014 nach Deutschland kam, wollte ich eine Stelle als Krankenschwester finden. Mein ukrainisches Diplom reichte allerdings nicht, um gleich in den Beruf einzusteigen. Mein Deutsch war außerdem nicht gut genug. 

Ich musste neun Monate lang unbezahlt im Krankenhaus arbeiten, um die Voraussetzungen zu erfüllen, meinen Abschluss anerkennen zu lassen. Parallel dazu habe ich alleine zu Hause Deutsch gelernt – da ich wegen der Arbeit keine Zeit hatte, um an einem Integrationskurs teilzunehmen. Es war sehr anstrengend. Entscheidend war dabei die Hilfe und Unterstützung, die ich vom Krankenhauspersonal bekommen habe. Heute berate ich Freunde und Verwandte, die aus der Ukraine geflüchtet sind und auch in Deutschland arbeiten möchten.

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