Das Geländer zum Festhalten

Ein Wort zum Montag, dem 21.März 2022 

VON CORNELIA SENG

Noch sehe ich sie vor mir: Meine alte Mutter saß auf der äußersten Kante des Sofas – wach und aufmerksam. Mitten im Gespräch sagte sie ein altes Kirchenlied auf: „Ich bin getauft auf deinen Namen, Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist“. Es war eines ihrer Lieblingslieder. Sie konnte alle Strophen davon auswendig und rezitierte sie. Sie sprach nicht wie ein Kind, das stolz aufsagt, was es gelernt hat. Es war eher eine Mitteilung. Wollte sie mir sagen: Guck hier, das ist mein Geländer, daran halte ich mich fest. An meiner Taufe. Gott hat mir sein Versprechen gegeben. Zu ihm gehöre ich. 

Meine Mutter war eine rechtschaffene, bescheidene Frau. Ich wüsste nicht, dass sie sich jemals etwas hatte zuschulden kommen lassen. Fühlte sie am Ende doch, dass die Versäumnisse größer waren als die Verdienste? Worauf war Verlass?

Jetzt im vorgerückten Alter kann ich sie verstehen. Inzwischen blicke ich auch schon auf einen großen Teil meines Lebens zurück. Unsere Generation wollte alles besser machen. So etwas wie den Nationalsozialismus sollte es nie wieder geben. Die Demokratie hielten wir für selbstverständlich. Sie war uns in den Schoß gefallen. Der Kapitalismus sicherte unseren Wohlstand. Die Ressourcen der Erde nutzten wir ungehemmt. ‚Einschränkung’ war im Wirtschaftswunderland Deutschland ein fremdes Wort. Heute spüre ich die Verunsicherung: Corona. Der Klimawandel. Ein Krieg in Europa – und wieder plötzliche Aufrüstung. 

Die vierte Strophe des Kirchenliedes (eg 200) war meiner Mutter besonders wichtig: „Mein treuer Gott, auf deiner Seite bleibt dieser Bund wohl feste stehn; wenn aber ich ihn überschreite, so lass mich nicht verlorengehn; nimm mich, dein Kind, zu Gnaden an, wenn ich hab einen Fall getan“. 

Heute kann ich meine Mutter verstehen. Auf Gottes Treue ist Verlass! Auch ich brauche ein Geländer zum Festhalten, um das Leben aufrecht und getrost anzugehen. Ich halte mich fest an Bibelworten wie meinem Taufspruch „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ (Jes.43,1) Es ist Gottes Erbarmen und seine Liebe, die mich immer neu ermutigen.

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