Und niemand sagt auch nur ein Wort

VON WOLFGANG HORN

Kein Einwand, keine Kritik, keine einzige Stimme in einer Telegram-Gruppe, die im Titel Wermelskirchen trägt, zur infamen Bezeichnung „Volksverräter“ für den Bundesfinanzminister Lindner. Volksverräter. Ein Unwort. Es entlarvt jene, die es verwenden. Der baden-württembergische AfD-Abgeordnete Räpple bezeichnete einmal Mitglieder aller anderen Landtagsfraktionen als Volkverräter. Im sächsischen Sebnitz wurde der ehemalige Bundespräsident Gauck so beschimpft. Volksverräter ist nicht irgendein beliebiger Ausdruck, nicht austauschbar. Nach dem Ersten Weltkrieg galt er jenen, die sich für den Frieden und die Weimarer Republik stark machten. Unter den Nazis war Volksverrat das schlimmste Staatsverbrechen. Volksverräter konnten gejagt, gefoltert, erschlagen werden, sie kamen ins Zuchthaus oder landeten im KZ. 

„Mit dem Begriff ‚Volksverräter‘ grenzt sich die Gruppe derer, die den Slogan ‚Wir sind das Volk‘ für sich reklamieren, aggressiv gegen alle übrigen ab. Wer also andere als Volksverräter beschimpft, macht Fronten auf. Überspitzt formuliert: ‚Wir die Deutschen – ihr die Flüchtlinge. Wir die Demokraten – ihr die Lügenpresse. Wir die Bürger – ihr, die elitären Besserwisser.‘“ So Carolin Gasteiger 2017 in einem Beitrag in der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel „Volksverräter, ein Unwort im wörtlichen Sinne“. 

Mit der Nutzung dieser schändlichen Nazi-Vokabel signalisiert man, an einer inhaltlichen Auseinandersetzung überhaupt nicht interessiert zu sein. Es geht darum, Stimmung zu machen, aufzuwiegeln, zu hetzen. „Wermelskirchen für Aufklärung“ ist der Titel dieser Gruppe bei Telegramm. Welch ein Hohn. In dieser Gruppe wird offenbar unwidersprochen gehetzt, mit einem Sprachgebrauch, mit dem die Nazis ihre Widersacher diskreditiert und verfolgt hatten, mit einer Vokabel, die bereits vor fünf Jahren als Unwort des Jahres gewählt worden ist. Und niemand sagt auch nur ein Wort.

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