Wenn das Dein Sohn wäre

Frank Hermes hat heute ein Poem ins Netz gestellt. Hab vielen Dank. Es handelt sich um die kürzere Fassung eines Gedichts, für das als Autor Marco Leonie angegeben worden ist. Für die längere Version weist eine andere Fundstelle im Netz Sergio Guttilla als Autor und Jürgen Kretzschmar als Übersetzer aus. Ich kann und will das jetzt nicht auflösen. Lesen Sie zunächst die kürzere und hernach die ausführlichere Variante:

I.

Wenn das dein Sohn wäre
du würdest das Meer mit Schiffen jeder Flagge füllen.
Aber keine Sorge.
Er ist nicht dein Sohn.
Du kannst friedlich schlafen.
Und vor allem natürlich,
Er ist nicht dein Sohn.
Er ist nur ein verlorener Sohn der Menschheit,
Dreckige Menschheit, das macht keinen Lärm.
Er ist nicht dein Sohn

II.

Wenn es dein Sohn wäre,
würdest du das Meer mit Schiffen aller Länder bedecken
und wollen, dass alle gemeinsam Millionen Brücken bauten,
um es passierbar zu machen.
Dieser Gedanke ließe dir keine Ruhe:
Du würdest Schatten und Schutz schaffen,
damit seine Augen nicht verbrennen und vom salzigen Wasser
nass werden.
Wenn es dein Sohn wäre würdest du den Fischer
ins Meer werfen, der sich weigerte,
dir sein dringend erbetenes Boot zu leihen.
Du würdet an Regierungstüren klopfen
und sein Leben fordern.
Wenn es dein Sohn wäre, würdest du heute trauern,
die Welt hassen, die Häfen auch, die voller fest vertäuter
Schiffe sind. Und diejenigen, die sie denen verweigern,
deren Schreie im Meerwasser verstummt sind.
Wenn es dein Sohn wäre, würdest du sie Feiglinge nennen,
sie anspucken. Sollten sie dich festhalten, einsperren, hindern,
würdest du ihnen ins Gesicht schlagen
und sie alle im selben Meer ertränken.
Aber mach’ dir keine Sorgen, du, in deinem warmen Haus.
Er ist nicht dein Sohn. Du kannst friedlich weiter schlafen.
Ja, er ist ganz sicher nicht dein Sohn.
Es ist nur ein verlorenes Kind der Menschheit,
ein schmutziges Kind, das keinen Lärm macht.
Es ist nicht dein Sohn. Nein, dein Sohn ist es nicht.
Ganz sicher.
Schlafe ruhig weiter.

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