Was die AfD unter „normal“ versteht

Den Beitrag von Hartmut Schneider entnehmen wir mit freundlicher Genehmigung dem Bürgerportal Bergisch Gladbach:

VON HARTMUT SCHNEIDER*

Rheinisch-Bergischer Kreis | „Deutschland. Aber normal.“ So lautet der Slogan, mit dem die AfD in den Wahlkampf zieht, unter diesem Motto hatte sie am Freitag ins Bensberger Rathaus eingeladen. Der Gastautor des Bürgerportal, Hartmut Schneider, war vor Ort und schildert, was die AfD als „normal“ ansieht.

Auf Plakaten hatte die AfD in das Rathaus Bensberg zum Wahlkampf-Auftakt eingeladen, auch hier unter dem bundesweiten Slogan „Deutschland. Aber normal.“ Ich beschließe, zu erkunden, was die AfD unter „normal“ versteht und bitte den Pressesprecher Carlo Clemens um Akkreditierung. Diese erfolgt auch zügig.

Zum Termin der Veranstaltung betrete ich den Innenhof des Rathauses. Um ein Zelt der Jungen Alternative haben sich ca. 15 Leute versammelt, die mit wenigen Ausnahmen eher nach Alter Alternative aussehen. Ein korrekt gekleideter, mir unbekannter Herr kommt auf mich zu mit den Worten „Sie sind der Herr Schneider. Ich kenne sie“ und stellt sich als Helmut Waniczek und als Ortsvorstand verantwortlich für die Organisation der Veranstaltung vor.

Er bittet mich um Vorlage meines Presseausweises, den ich nicht dabei habe. Ich verweise auf die Akkreditierung durch den Pressesprecher. Waniczek ist unerbittlich und bittet mich, die Veranstaltung zu verlassen. Begründung: „Ich kenne sie nicht und ohne Presseausweis kommen sie nicht herein.“ (!) Ich erinnere mich an meinen letzten Besuch einer AfD-Wahlveranstaltung im Bergischen Löwen, weil es auch dort um meinen Presseausweis ging und wo ich körperlich attackiert wurde.

In dem Moment erscheint Pressesprecher Clemens und ich bestehe darauf, dass dieser zu meinem Verweis gehört werden soll. Waniczek geht zu dem zehn Meter entfernt stehenden Clemens und ich sehe, dass längere Zeit diskutiert wird. Schließlich kommt Waniczek zurück und verkündet: „Herr Clemens kennt sie und bürgt für sie, dann schließe ich mich dem selbstverständlich an.“

Ich betrete den Ratssaal, und man geleitet mich zu meinem vorbereiteten Tisch mit der Nummer 1. Ca. 40 Besucher*innen sind erschienen. Wie sich im Laufe des Abend herausstellt, ist ein Teil des Publikums angereist z.B. aus Köln oder Neuss.

Der erste Redner ist Eugen Schmidt, Russlanddeutscher mit der Absicht, die Russlanddeutschen zu AfD-Wählern zu machen. Er steht auf dem aussichtsreichen Platz 10 der NRW-Landesliste.

Schon der Besuch seines Facebookprofils lässt Schlimmstes befürchten: Er unterstützt dort den „Freiheitskampf“ von Georg Thiel, der wegen Nichtzahlung seiner Rundfunkgebühren bzw. Verweigerung der Offenlegung seiner Vermögensverhältnisse in Erzwingungshaft sitzt. Schmidt: „Georg Thiel ist kein Verbrecher, im Gegenteil, er ist ein politischer Gefangener der Merkel-Regierung.“

Im Bensberger Ratssaal macht er seine Islamfeindlichkeit zum zentralen Thema. Einige Zitate aus seiner Rede, die immer dann von Applaus unterbrochen wurde, wenn er eines seiner kruden Beispiele nannte:

„Eine deutsche Regierung will uns unsere Heimat, unsere Sprache und unsere Identität wegnehmen.“ „Ich weiß nicht, was schlimmer ist, eine kommunistische Regierung oder eine von Merkel und Konsorten.“ „Heute werden deutsche Kinder von den muslimischen Mitschülern regelrecht gemobbt, weil sie Deutsche sind. Und das in unserem eigenen Land. Durch den Schuldkult und die Jahrzehnte linksgrüner Indoktrination.“

Nicht nur in diesem Fall hatte ich den Eindruck, dass Schmidt sich in seinem Manuskript verirrt hatte. Dem Publikum schien die mangelnde Sinnhaftigkeit nichts auszumachen. 

Schmidt weiter: „In vielen Orten werden die Moscheen schneller als Schulen gebaut.“ „Wir brauchen keine Moscheen mehr.“ In seinen Tiraden versteigt er sich in die Behauptung, die Tausende Menschen, die jetzt aus Afghanistan fliehen, seien keine richtigen, er nennt sie sogenannte Flüchtlinge, sondern es seien Wirtschaftsmigranten, die es auf unser Sozialsystem abgesehen hätten.

Primitive Pauschalisierungen durchziehen seine Ausführungen, „die“ Muslime, „die“ Vergewaltiger, „die“ Gerichte, die nur auf Bewährung verurteilen. 

Roger Beckamp

Als zweiter Redner tritt Roger Beckamp auf. Beckamp ist Landtagsabgeordneter. Correctiv schreibt über ihn: „Es heißt, er könne mit beiden Lagern. In seiner Rede nutzt Beckamp Zitate von Götz Kubitschek, einem der geistigen Führer der neuen Rechten in der AfD. Mit Beckamp würde die AfD noch weiter nach rechts außen wandern.“ Roger Beckamp steht auf Platz 8 der NRW-Landesliste.

Zunächst bekennt er, ihn habe das Thema Migration „in die AfD getrieben.“ Mit deutlich rassistischem Unterton beschreibt er die Lage: „Das Problem ist nicht der Norweger, Pole oder sonst wer und auch nicht der Vietnamese. Typischerweise haben wir die Probleme mit einer bestimmten Einwanderung und die kommt typischerweise aus dem Nahen Osten und vom afrikanischen Kontinent.“

Und schon ist er beim Thema Afghanistan: „Es werden sich viele auf den Weg machen“ Er zitiert irgendeine Frau, die geschätzt hat, es würden 3 Millionen kommen. Das sagt ein wissenschaftlich ausgebildeter, praktizierender Rechtsanwalt ohne jeden seriösen Beleg. AfD-Politik in Reinkultur: Irgendetwas Angst machendes in die Welt setzen und darauf hoffen, dass Leute darauf herein fallen.

Beckamp bekennt sich dazu, dass die aktuellen Probleme, wie Energiekrise, Coronakrise usw. für ihn Nebenkriegsschauplätze sind. Die wahre Gefahr sieht er in der Überfremdung und dass es zu einem anderen Bild von Deutschland kommt. Es ist genau diese Argumentation, die auch gewalttätige Nazis benutzen um ihre „Notwehr“ gegen den absichtlich herbeigeführten „Volkstod“ zu begründen.

Wir müssen, so Beckamp zum Thema Afghanistan, klar sagen „und die harten Bilder aushalten… und sagen nein, tut mir leid“, weil wir nicht erkennen können, ob es der Dolmetscher oder der Gemüsehändler ist, der es über die Mauer geschafft hat.

An anderer Stelle schildert er die Ankunft eines Flugzeuges aus der Türkei und stellt fast angewidert fest: „Was habe ich mit diesen Menschen gemeinsam, außer meinem deutschen Pass.“ Sein Credo: „Unser Mitleid ist ihre Waffe“, ausgeliehen von Jean Raspail. Im Osten, so sagt er, „sind die Menschen mental viel weiter als im Westen.“

Beckamp redet und redet. Sein Problem: Der angekündigte Hauptredner Dr. Harald Weyel steckt noch in der Kandidatenvorstellung des Bürgerportals fest. Also redet er, auch wenn er längst nichts mehr zu sagen hat. Seine zynischen und empathiefreien Betrachtungen drehen sich reflexhaft immer noch um das zentrale AfD-Thema: Die Migranten.

Harald Weyel

Inzwischen ist Harald Weyel eingetroffen. Weyel, ehemaliger Professor an der FH Köln, ist weniger durch politische Aktivitäten aufgefallen, als durch publizistische, bzw. seine Indoktrinationsversuche in Lehrveranstaltungen.

Das brachte ihm bereits zweimal die Aufhebung seiner Immunität, die er als Bundestagsabgeordneter genießt. Anlass waren Vorwürfe, er habe in Lehrveranstaltungen europafeindliche Positionen vertreten und den Holocaust relativiert. Die Untersuchung der Vorwürfe durch die Hochschule ergab, dass „teilweise Auffälligkeiten“ bestanden, sie aber nicht als Dienstvergehen zu werten seien.

Die ZEIT berichtete am 26.9.2017 über seine Facebookaktivitäten. Weyel habe sexistische Artikel geteilt, in denen Frauen ein genetisch bedingter Mangel an Intelligenz bescheinigt wurde. 

Weyel beklagt, es sei bei der Wahlarena des Bürgerportals wieder einmal deutlich geworden, dass die AfD die Partei der Ausgegrenzten sei. Die Entscheidung, in einer Runde mit den aussichtsreichsten Kandidaten die Vertreter von CDU und Grünen auszuwählen, kritisiert er scharf. Schließlich sei Christian Lindner von der FDP „mindestens mal der Kandidat der Herzen“. 

Weyel beginnt sein heutiges Thema, das er sein Haupt-Desiderat nennt. Es handelt sich insbesondere um Europapolitik. Was ihn nicht hindert, sofort über Afghanistan zu reden und seine Befürchtung, Aufenthaltsrechte seien identisch mit unbegrenztem Zugang zur „goldenen Kreditkarte des Sozialstaates.“

Weyel beginnt ein Referat über die Geschichte der europäischen Politik, beginnend bei Montan-Union über EWG, EFTA bis zur heutigen EU. Er strebt an, die EU zurückzufahren auf eine Art EFTA, also Freihandelszone der Wohlhabenden. Das müsse allerdings erst noch in der Partei diskutiert werden.

Weyels Problem: Es ist totlangweilig und seine Ausführungen sind nicht das, wofür die Zuhörer gekommen sind. Seine Vorredner erhielten in kurzen Abständen Applaus, insbesondere, wenn es gegen Migranten ging. Er redet unstrukturiert von collateral damage, Disfunktionalität der EU, e-logic, Anti-Subsidiaritäts-Orgie, enforcement und kommt schließlich zur Konklusion.

Es wird kaum noch applaudiert. Erst als er den faulen und hoch subventionierten Migranten dem fleißigen aber vernachlässigten Normalverdiener gegenüberstellt, regt sich das Publikum deutlich. Zum Abschluss erhalten die Referenten eine Flasche „Flutwein“, den ein findiger Winzer verdreckt, wie er geborgen wurde, verkauft.

Deutschland. Aber nichts ist normal.

*Hartmut Schneider
geb. 1946. Geboren und aufgewachsen im Bergischen Land. Gearbeitet, studiert und gelebt in Köln. Seit 1983 wohne ich in Bergisch Gladbach. Fotografiebegeistert seit dem 10. Lebensjahr, als eine Agfa Box auf dem weihnachtlichen Gabentisch lag. Als Lehrer habe ich 35 Jahre analoge und digitale Fotografie unterrichtet. Website: hartmutschneider.de/

Beitragsfoto: Eugen Schmidt bei der AfD-Veranstaltung im Rathaus Bensberg

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