Buchtipp: Die Geschichte einer unerhörten Frau

Ein Blick auf die junge Bundesrepublik von Hannelore Hippe und ein literarisches Denkmal für eine starke Frau

VON STEFAN EPPINGER

Köln | Leicht hat es Gussy Fink nicht, als sie Anfang der 60er Jahre nach Köln zieht, um dort mit ihren beiden kleinen Kindern ein neues Leben zu beginnen. Die Frau, die zunächst nach dem Krieg aus dem schlesischen Breslau nach Frankfurt am Main fliehen musste, ist geschieden, alleinerziehend und auch noch evangelisch. Was das bedeutet, merkt sie spätestens, als sie ihre Tochter im katholischen Köln für die Schule anmelden möchte. Auch die Nachbarn beäugen die Neue misstrauisch und stehen ihr von Anfang an ziemlich abweisend gegenüber. Die strengen gesellschaftlichen Normen stehen über allem – wer die falsche Kleidung zur falschen Jahreszeit trägt oder wer alleine als Frau ein Brauhaus betritt, wird gnadenlos an den Pranger gestellt.

Dabei hat Gussy nur konsequent gehandelt, als sie sich von ihrem Mann, der zum Trinken neigt, es mit der ehelichen Treue nicht ganz so genau hält und als Steuerberater in seiner Firma Geld unterschlagen hat, trennt und mit den Kindern zunächst in Frankfurt eine neue Bleibe sucht. 

Hermann Fink hat derweil Pläne, wie er seiner drohenden Gefängnisstrafe entkommen kann. Er flieht in die DDR, um dort seinen Neuanfang zu wagen. Zunächst wird er dort als „Zoologe“ im Schlachthof untergebracht, später bietet man dem Mann mit den guten Sprachkenntnissen die Aufgabe eines Agenten an. Spätestens als der Mauerbau droht, flieht Hermann in die Gegenrichtung nach Westberlin und schafft es mal wieder, sich aus der Zwickmühle herauszuwinden und kann das lange Absitzen der Strafe im Gefängnis auf ein Minimum zu verkürzen.

Gussy muss sich derweil mit Putzstellen durchschlagen und wird dabei fast noch das Opfer einer Vergewaltigung. Zum Glück ist da noch die Arbeit in der Stadtbibliothek, die sie liebt. Ihre Tochter Eva bereitet der Mutter immer wieder Freude, denn in der Schule gehört sie auch in der neuen Heimat zu den Besten und schafft später sogar den Sprung aufs Gymnasium. Ihr kleiner Bruder Volker hat es da etwas schwerer, wird er doch von einem rätselhaften Beinleiden geplagt. Seine Mutter stellt sich hinter beide Kinder und erzieht Eva zu einem ziemlich selbstbewussten Mädchen, die als Teenagerin von den strengen gesellschaftlichen Normen der Zeit unbeeindruckt Jeans und die langen Haare offen trägt. 

Von der eigenen Familie gibt dagegen nur Häme und Verachtung für die geschiedene Frau. Insbesondere Mutter Erna und Schwester Alma machen es Gussy, wo es immer nur geht, möglichst schwer.

In regelmäßigen Abständen blickt sie zurück in die eigene Vergangenheit, wo sie gemeinsam mit Schwiegervater Gustav vom Osten in Richtung Frankfurt fliehen will, um ihren Hermann wiederzutreffen, der als Soldat in Norwegen war. Der Alte erkrankt jedoch schwer und kann nicht mehr weiter. Hilfe kommt von einem russischen Offizier, in den sich Gussy prompt verliebt. Doch der Flirt endet in einer Enttäuschung, als Gussy sich sicher ist, dass ihr Sergej Frau und Kinder in Odessa hat. Ihren Mann findet sie in Frankfurt bei den US-Truppen wieder, wo er inzwischen als „der Finck“ zu einem kleinen Star geworden ist.

Erst Mitte der 60er Jahre scheint sich das Glück der selbstbewussten Frau wieder zu wenden, die sich von keiner der vielen Enttäuschungen von ihrem aufrechten Gang hat abbringen lassen und die für ihre Familie ein behagliches Heim schaffen konnte, auch wenn das Geld stetig knapp ist. 

Im ersten Urlaub mit Sohn und Tochter lernt sie zwei Niederländer in Remagen kennen, die ihr auf Anhieb sympathisch sind. Insbesondere Wim hat es Gussy angetan und dessen Mutter macht ihr Mut, das es aus den beiden etwas werden könnte.

Der Roman „Die Geschichte einer unerhörten Frau“ ist ein spannendes Bild der biederen deutschen Gesellschaft nach dem Krieg, die vom klassischen Familienbild geprägt ist und in der Frauenrechte noch ein Fremdwort sind. Er spannt den Bogen vom Kriegsende bis in die Mitte der 60er Jahre hinein. Eine Zeit, in der Frauen massiven Gegenwind bekamen, wenn sie sich dem alten Rollenbild nicht fügten. 

Autorin Hanne Hippe erzählt dabei auch ein Stück weit der Geschichte ihrer eigenen Familie, auch wenn der Roman ganz bewusst fiktional und nicht als Biografie angelegt ist.

Hanne Hippe • Die Geschichte einer unerhörten Frau • Goldmann-Verlag • Hardcover mit Schutzumschlag • 428 Seiten • ISBN: 978–3–442–31563–5 • 20 Euro • erschienen am 8. März 2021

(Stephan Eppinger in report-K, der Kölner Internetzeitung)

Kommentar (1) Schreibe einen Kommentar

  1. Ein lohnenswerter Blick auf Flucht und Nachkriegsjahre in Deutschland!
    Den Titel dieses Buches finde ich in Bezug auf das Adjektiv ‚unerhört‘ etwas irritierend: aus dem Spätmittelhochdeutschen stammend meint es eigentlich: nie gehört, beispiellos, zu: erhœren = hören. Der Duden merkt weiteres an: ‘nicht erhört, nicht gebilligt, erstaunlich, empörend’. Frei interpretiert könnte es auch ‚nicht erfüllte‘ Frau meinen.
    Wie die Autorin Hanne Hippe bin ich 1948 in Köln geboren, in dieser Zeit nach dem Krieg dort aufgewachsen, mit Eltern und Großeltern durch 1 bzw. 2 Weltkriege im Leben x-mal entwurzelt worden waren. Ich bewundere die Autorin für die vielen eingeflochtenen, auch autobiografischen Informationen zu ihrer Familiengeschichte. Leider wurde in unserer Familie nicht viel über Flucht, Verlust, ursprünglicher Heimat im Detail gesprochen. Wahrscheinlich waren Erinnerungen daran zu schlimm, um weitergegeben zu werden als Mahnung.
    In diesem Stück Zeitgeschichte bis in die 60er Jahre mit Blick auf die Emanzipation der Frau wechseln die Kapitel nicht nur zwischen Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch zwischen den erzählenden Hauptpersonen, was den Spannungsbogen insgesamt zu oft unterbricht und lähmt.

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