Wie Don Quichote auch gegen Riesenbrücke und Monster-Stelze kämpft

Ein Interview aus dem Innenleben einer beharrlichen Bürgerbewegung „Levmussleben!“

VON JOACHIM ZAPPE

Ähnlichkeiten zu Don Quijote und Sancho Panza sind nicht zufällig. Das Meisterwerk von Miquel Cervantes wird  beim Bau der Rheinbrücke mit allem was dazu gehört rund um Leverkusen in einer neuen Variante aufgeführt. Es scheint ein Kampf gegen Windmühlen zu sein, den sich die Bürgerinitiative „Levmussleben!“ seit Jahren zumutet. Das ForumWK hatte die Gelegenheit, einen exklusiven Blick in das Drehbuch und hinter die Kulissen zu werfen. Ein Interview mit  Immo Filzek, einem der Hauptverantwortlichen der Bürgerinitiative „Levmussleben!“

Fakt ist, an der Brücke wird weitergebaut , drum herum sowieso. Ist das Projekt endgültig durch?

Für die Planer der Brücke, also die Verkehrsminister des Bundes und des Landes NRW, ist klar: Die Planfeststellung ist erfolgt, Thomas Ganz, Chef der Rheinland-Niederlassung der Autobahn GmbH, hat ab 1. Januar dieses Jahres als Nachfolger von Straßen NRW die Brücken fertig zu bauen. Für die heutigen Minister Scheuer und Wüst gibt es da auch kein Zögern und Zagen, egal, was die Bürgerinnen und Bürger wollen.

Und so war es seit Anbeginn der Planungen. Als die Vorgänger Ramsauer und Groschek 2012 feststellten, dass die ursprüngliche Brücke nicht mehr sanierbar ist und erneuert werden muss, befanden sie in einvernehmlicher demokratischer Gesinnung: Jetzt werden 2 (!) neue Brücken mit je (!) 4 Fahrspuren, 2 Ein-/Aus-fädelungsspuren und 1 Haltespur gebaut, anschließend eine ebensolche Stelzenautobahn zum Leverkusener Kreuz für ein Verkehrsvolumen von 130.000 Fahrzeugen pro Tag. Ihr Leverkusener könnt allenfalls über die Farbgebung der Brücken mitdiskutieren. So stellten sie sich auch das Planfeststellungsverfahren (PFV) vor: Leverkusen hat zu kuschen und das Verfahren abzunicken.

Übrigens, die erste Brücke war 1963 gebaut worden für täglich 20.000 Fahrzeuge und für ein Zielvolumen von 40.000. Geht die erste Brücke irgendwann einmal in Betrieb, werden allein fast 20.000 schwerste LKW täglich darüber rollen.

Das Leipziger Verwaltungsgericht hat „Levmussleben!“ nicht zum Erfolg verholfen. Welche Rolle spielt das Gerichtsurteil für Ihre Arbeit?

Das oberste deutsche Verwaltungsgericht war in einer „lex Leverkusen“ vom Bundestag als erste und einzige Instanz für das Planfeststellungsverfahren festgelegt worden, in einem Baubeschleunigungsgesetz. Durch diese Zuweisung sollte den Bürgerinitiativen der Zahn gezogen werden, denn einen sechsstelligen Eurobetrag für ein Klageverfahren würden sie wohl nicht aufbringen können. Weit gefehlt. Von Anfang an gingen die Initiativen und mit ihnen die Bürger auf die Barrikaden und forderten eine Stadtquerung, die sowohl die berechtigten Interessen der Autofahrer nach freier Fahrt berücksichtigt als auch die der Anwohner nach Erhalt der Gesundheit und Lebensqualität in der Stadt. Und gingen auch nach Leipzig vor das Bundesverwaltungsgericht.

Ihre durch renommierte Experten gestützte Kombilösung wurde nie ernsthaft in die Planungen einbezogen. Warum diese Ignoranz, wo doch das Klimabewusstsein der Bürger steigt?

Genauso ist es und auch absolut unverständlich! Man muss sich vor Augen führen: Nicht nur die Brücke ist nicht reparierbar, sondern auch die heute existierende Stelze von der Brücke bis zum Leverkusener Kreuz. Die „Stelze“ besteht aus ca. einem Dutzend Brückenbauten, deren Stahlkorsett jederzeit brechen kann. Also muss die gesamte Konstruktion von Köln-Niehl bis zum Leverkusener Kreuz, etwa 6 km, abgerissen werden. Würde eine derartige Trasse mit dem geplanten Verkehrsvolumen heute neu geplant: Niemand käme auf die Idee, eine derartige Monsterkonstruktion mitten durch eine Großstadt zu planen und zu bauen. Zudem sie mitten durch die größte Giftmülldeponie Europas, die vor 20 Jahren für „alle Zeiten“ hermetisch abgedichtet wurde, hindurchgebaut werden muss. Ein absoluter Irrsinn!

Sie hatten mehrfach Konsultationen in obersten Fachbehörden oder im Ministerium.  Gab es niemanden, der bereit war oder ist, die Scheuklappen abzulegen ?

Eine klare Antwort: Nein.

Vielleicht etwas genauer?

Ich will es mit einem Beispiel verdeutlichen. Anfang 2019 war ich mit einer Abordnung von „Levmussleben!“ bei dem für den Bau verantwortlichen Staatssekretär Schulte im Düsseldorfer Verkehrsministerium. Wir hatten 1 Stunde Zeit für eine Vorstellung der „Kombilösung“. Anhand einer riesigen Planungskarte zeigte ich auf, dass die im Bau befindlichen Brücke für den Regionalverkehr und die Anbindung der A 59 benutzt werden könnte und eine Tunnelanlage von Köln-Niehl unter dem Rhein bis zum Leverkusener Kreuz für den Durchgangsverkehr zur A 3. Das ist eine umweltverträgliche Lösung, die Lärm, Feinstäube und Abgase aus der Umwelt entfernt. Ich übergab eine DVD mit 23.000 Unterschriften Leverkusener Bürgerinnen und Bürger, die genau diese Lösung forderten. Kein Wort dazu von unserem Gesprächspartner. Nicht einmal ein Bild dieser Übergabe für die Presse wurde zugelassen. Einziger Kommentar: Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig habe ihn gesetzlich verpflichtet, die Brücken zu bauen. Eine absolute Fehlinterpretation des Urteils.

Wieso?

Nun, das Gericht hat eine rein formale Prüfung vorgenommen, ob alle Gesetze und Richtlinien des PFV eingehalten sind. Was und wie gebaut wird, das wurde überhaupt nicht betrachtet. Der Bauherr kann frei entscheiden, eine umweltverträgliche Lösung zu realisieren.

Mit Prof. Dr. Karl Lauterbach wurde einen prominenter Mitkämpfer mit ins Boot geholt. Welche Rolle spielt er?  So schnell wird man einem renommierten Wissenschaftler  wie ihm doch nicht die Türe vor der Nase zuschlagen.

Das ist zweifellos richtig. Er ist sehr gut vernetzt und als stellvertretender Vorsitzender der SPD hatte er auch Zugang zu allen Ausschüssen des Bundestages, einschließlich des Verkehrsausschusses. Aber auch ihm ist es so gegangen, dass ihm maßgebliche Politiker zugehört und Versprechungen gemacht haben. War er durch die Tür, war alles vergessen. Es ist so, wie der Chefreporter des Kölner Stadtanzeigers, Peter Berger, im vergangenen Herbst geschrieben hat: In den Ministerien kursierten schon 2015 Emails, in denen zwischen den Entscheidungsträgern abgestimmt wurde, öffentlich Hoffnungen zu mindestens auf die kurze Tunnellösung zu machen, damit in Leverkusen Ruhe herrscht. Der Bau der Monsterstelze aber sei ausgemachte Sache.

Die Leverkusener Politik ist für Sie kein Verbündeter. Haben die heimischen Bürgervertreter  kein Verantwortungsbewusstsein für die Gesundheit  und Umwelt in ihrer Stadt?

Leider muss ich auch das voll bestätigen. Alle Ratsfraktionen mit Ausnahme der Bürgerliste hatten die sogenannte „Tunnel statt Stelze“ auf ihrer Wunschliste. Eine etwa 800 m lange Tieflage, die Abgase, Feinstäube und Lärm nicht beseitigen kann. Diese werden nur unter den Anwohnern umverteilt. Das eine ist so umwelt- und menschenschädlich wie das andere. Außer den doppelt so hohen Kosten stellt Scheuers Staatssekretär Enak Ferlemann in seinem Ablehnungsschreiben dieser Lösung fest, ich zitiere: „…für die Hochlage …spricht auch die kürzere Bauzeit (4,5 Jahre statt 8 bis 10 Jahre). Des Weiteren spricht für die Hochlage … dass während der Bauzeit keinerlei langwierige Sperrungen von Rampen im Autobahnkreuz Leverkusen vorgenommen werden müssten und somit alle bestehenden Fahrbeziehungen weiterhin zur Verfügung stehen würden. Bei der Variante Tieflage wären die Fahrbeziehung Koblenz-Oberhausen für 1 bis 1,5 Jahre, Oberhausen-Koblenz für 2 Jahre, Dortmund – A59 und A59 Dortmund jeweils für 1 Jahr unterbrochen.“

Der Stadtrat von Leverkusen hat Sie nie im Kampf für die Kombilösung unterstützt. Umwelt und Gesundheit der Bürger schienen den Entscheidungsträgern egal. Haben Leverkusener  Politiker kein Verantwortungsbewusstsein für ihre Bürger?

In kleinem Kreis haben wir mit Karl Lauterbach im Dezember überlegt, wie wir es schaffen können, eine gemeinsame Vorgehensweise gegen die geplante Monsterstelze im Rat hinzubekommen. Als Ergebnis stellten wir fest: Das, was uns alle eint, ist die Ablehnung dieser menschenverachtenden Verkehrslösung. Das muss nach Berlin kommuniziert werden!

Das hat dann auch geklappt. Fast alle Ratsmitglieder haben sich hierauf geeinigt und beschlossen, dass diese Resolution an den Verkehrsminister Scheuer geschickt wird. Mit dem Hinweis, dass sich ganz Leverkusen mit allen Mitteln gegen diese Baumaßnahme stellen wird. Und dass Scheuer sich in Leverkusen die Situation persönlich vor Augen führen soll.

In unserem kleinen Kreis haben wir uns vorgenommen, bei dieser Gelegenheit den Bundesverkehrsminister zu bitten, die unter allen Gesichtspunkten beste Trassenführung von einem unabhängigen Sachverständigenbüro ausarbeiten zu lassen. Ein Auftrag, der vielleicht 80.000 € kosten könnte, aber viel Licht in das Dunkel bringen könnte. Und nicht viel ist im Vergleich zu den 40 Millionen €, die gerade bei der erneuten Vergabe des Fertigbaus der ersten Brücke aus dem Fenster geworfen wurde.

Ich habe das eingangs kurz angesprochen. Was ist denn genau passiert?

Eine simple, aber unglaubliche Sache. Wenn die ein Drehbuchautor in sein Script einfügen würde, würde man ihm Verhohnepipeln der Zuschauer vorwerfen. Also, im Oktober wurden die Bauarbeiten neu ausgeschrieben. 2 Bieter geben ihre Angebote ab. Nach hoffentlich gründlicher Prüfung durch die damals zuständige Landesbaubehörde Straßen.NRW erhält der billigere Bieter den Zuschlag zu seinem Angebotspreis von 176 Mio. €. Fertigstellungstermin Ende 2023. 1 Tag später muss der Auftrag zurückgezogen, auf Deutsch: gekündigt werden, weil ein Formfehler im Vergabeverfahren ungeklärt und das entsprechende Fax der Prüfungsstelle bei Straßen.NRW verschütt gegangen war. Schuld daran ist natürlich niemand. Wieder ein Fall, bei dem der Bieter seinen entgangenen Gewinn vor Gericht einklagen könnte.

Im Januar eine erneute Ausschreibung. Den Zuschlag erhält der gleiche Bieter wie im Oktober, nur dieses Mal mit einem Angebotspreis von 216 Mio. €. Potzblitz. 40 Millionen, das sind über 20% mehr als vor einem Monat! Wird jetzt eine größere Brücke gebaut? Oder wird sie vergoldet? Oder hat der Anbieter nur seine entgangenen Gewinne großzügig auf die Preise aufgeschlagen?

Statt sich zu freuen – wie die Bauherren, dass jetzt endlich weitergebaut werden kann – wird man ja mal fragen dürfen. Denn wir Steuerzahler werden ja zur Kasse gebeten. Ein Fall für den Bundesrechnungshof oder den Bund der Steuerzahler!

Übrigens, nur nebenher: Die alte Brücke wurde völlig ohne Skandale von 1962 bis 1965 in 3,5 Jahren gebaut. Jetzt jubeln die Bauherren, weil sie – vielleicht – nach 6 oder 7 Jahren in Betrieb gehen könnte. Falls sich nicht erneute – natürlich unvorhersehbare – Zwischenfälle aus heiterem Himmel einstellen sollten.

Der Bayer-Konzern könnte doch sein Gewicht in die Waagschale werfen. Wo steht die Leverkusener Wirtschaft eigentlich?

Ja klar, das tut er auch, seit über den Neubau gesprochen wird. Bei einer irgendwie gearteten Tunnellösung seien die Gefahrguttransporte nicht mehr möglich, deshalb seien nur Brücken und Stelze denkbar. Der Bürgermeister hat mit einem teuren Gutachten klären lassen, dass das nicht der Fall ist. Trotzdem beharrt der Konzern auf seiner Vorstellung. Er hat auch einen guten Grund: Da die Trasse großzügig durch seine alte Giftmülldeponie geführt wird, geht der Besitz und damit die jahrzehntelange Verantwortung für Folgeschäden auf den Bund über. Liebe Steuerzahler, herzlichen Glückwunsch! Sie haben mal wieder gewonnen!

Ihre persönliche Einschätzung: In welchem Jahr wird das Thema Rheinbrücke oder Rheintunnel oder Kombilösung in Leverkusen kein Thema mehr sein? Hätten Sie schon einen Namensvorschlag für den Tunnel und wer dürfte die Eröffnungsrede halten?

Zur ersten Frage: Wenn so gebaut wird, wie geplant, möchte ich mich nach den bisherigen Erfahrungen aller Mutmaßungen enthalten. Die Realität schlägt ja alle möglichen Vorstellungen.

Zur zweiten Frage: Die beantworte ich gerne, wenn es dafür eine Realisierungschance gibt.

Wir wollen nicht zum Glücksspiel verführen, aber wie hoch werden denn schlussendlich die Gesamtkosten sein?

Wenn so gebaut wird, wie geplant, möchte ich mich auch hier aller Mutmaßungen enthalten. Wie gesagt, die Realität schlägt ja alle möglichen Vorstellungen.

Wenn die Kombilösung realisiert werden sollte, würden wir eine kürzere Bauzeit mit viel weniger Stauungen erwarten können. Der größte Teil der Baumaßnahmen würde nämlich außerhalb der Stadt – unterirdisch – stattfinden und damit weitgehend außerhalb der Verkehrsführungen. Die Baukosten wären höher, die volkswirtschaftlichen Kosten aber wesentlich geringer. Aber das auszuführen, würde an dieser Stelle zu weit führen. Ich habe es in den Flyern von „LEVmussleben!“ beschrieben, es ist dort einfach nachzulesen. Und die vielen Vorteile, die diese Lösung hätte, auch. Ich wünschte, die verantwortlichen Politiker würden einmal einen Blick dort hineinwerfen.

Auf einer Skala von 0 bis 10: wie wahrscheinlich ist für Sie heute die Chance zur Realisierung der Kombilösung?

Da bin ich überfragt. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt!

Beitragsfoto: Immo Filzek, Standbild aus SAT1-TV-Beitrag

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