Schule im Lockdown: „Warum sind wir nicht gut vorbereitet?“

Den Beitrag von Holger Crump entnehmen wir mit freundlicher Genehmigung dem Bürgerportal Bergisch Gladbach, in-gl.de:

Rheinisch-Bergischer Kreis | Seit Dienstag ist klar: Die Schulen in NRW bleiben zunächst bis 12. Februar geschlossen. Aus Schülersicht kein gutes Signal, meint Dario Schramm von der IGP und Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz. Im Interview spricht er über die ungleiche Qualität des Distanzunterrichts, Bildungsgerechtigkeit, Modelle zur Schulöffnung und für Prüfungen – mit einem wenig erstaunlichen Fazit.

“Aus gesundheitlicher Sicht ist der 2. Lockdown mit der Schulschließung bis 12. Februar eine gute Entscheidung, aus Bildungsperspektive keineswegs”, erklärt Dario Schramm. Schüler:innen würden viel Stoff verpassen, die Frage sei wie lange dies noch tragbar ist.

Die Bundesschülerkonferenz (BSK) ist die ständige Konferenz der Landesschülervertretungen der Länder in der Bundesrepublik Deutschland. Sie behandelt Angelegenheiten der Bildungspolitik von überregionaler Bedeutung mit dem Ziel einer gemeinsamen Meinungs- und Willensbildung und der Vertretung gemeinsamer Anliegen.

Dario Schramm ist seit Oktober 2019 gewähltes Mitglied der BSK und fungiert als deren Generalsekretär. Er macht derzeit sein Abitur am IGP in Paffrath und ist sachkundiger Bürger im aktuellen Stadtraht Bergisch Gladbach.

Einfluss darauf habe man kaum, denn: “Mit guten Gewissen kann man behaupten, dass Frau Gebauer nicht zu den überzeugtesten Bildungsministerin gehört wenn es darum geht, auf Verbände zu hören.”

Keine Vorbereitung

Als Schüler an der IGP erlebt Dario Schramm derzeit den zweiten Lockdown im Distanzunterricht. Lockdown 1 und 2 seien nicht miteinander vergleichbar. “Im Frühjahr 2020 wurden alle ins kalte Wasse geworfen”, meint er, alle hätten sich zunächst orientieren müssen. Ende 2020 hätte man gewusst: Ein Lockdown wird wieder kommen. Und alle würden sich fragen: “Warum sind wir nicht gut vorbereitet?”

Nach wie vor beherrschendes Thema ist die Digitalisierung des Unterrichts, der aktuell überwiegend vom heimischen Schreibtisch aus stattfindet. Hier gebe es z.B. in der Stadt Unterschiede in der Qualität: “Das beste Beispiel dafür sind mein Bruder und ich. Mein Bruder geht auf das NCG, dort wird Teams genutzt. Das läuft rund. An der IGP werden verschiedene Plattformen genutzt, hier hakt es.”

Sein Eindruck: Schulen die auf Teams gesetzt hätten, würden mit deutlich weniger Problemen zu kämpfen haben.

Dario Schramm meint: Buchseiten scannen ist nicht digitales Lernen, Foto: Torben Krauß

Fehlendes Konzept

Für einen erfolgreichen Digitalunterricht fehle nach Ansicht von Schramm vor allem ein vernünftiges Konzept: Für ihn bedeute dies einen funktionierenden Dreiklang aus schnellen Breitbandanbindungen und vernünftigen Plattformen für Schüler:innen und Lehrer:innen sowie Inhalte, die für die digitale Verbreitung aufbereitet seien.

“Digitaler Unterricht läuft derzeit mehr nach der Devise: Der Lehrer scannt eine Buchseite, man lädt sich diese runter. Das ist nicht digitales Lernen.” An erster Stelle stehe für ihn das Breitband. “Funktionierendes Internet ist die Grundlage von allem. Das ist die halbe Miete.”

Pandemie verschärft Chancenungleichheit

Zudem spiele die Herkunft der Schüler:innen eine entscheidende Rolle bei der erfolgreichen Gestaltung des Distanzunterrichts. Kinder mit vorhandener Hardwareausstattung kämen besser durch den Distanzunterricht als jene, die nur über ein altes Handy verfügen. Hier komme es neben dem schieren Vorhandensein der Geräte auch auf die Qualität der Endgeräte an.

“Bildung war noch nie unabhängig vom Elternhaushalt – in punkto Ausstattung, bei der Unterstützung und vielem mehr. Deutschland ist ein Land in dem jeder versucht mit seinen individuellen Voraussetzungen zu lernen, bei dem einen klappt es gut, bei dem anderen weniger.” Sein Fazit: “Der Distanzunterricht verschärft die Chancenungleichheit beim Thema Bildung.”

Prüfungen bleiben wichtig

Macht 2021 an der IGP sein Abitur: Dario Schramm, Foto: Torben Krauß

Von Schule light hält er nicht viel. Auch Prüfungen müssten im Lockdown stattfinden. “Damit es am Ende nicht heißt: Prüfungen oder Abschlüsse wurden verschenkt.” Es dürfe nicht der Eindruck entstehen man habe Glück gehabt weil man im “richtigen” Jahrgang gewesen sei.

Gleichwohl müssten die Prüfungen angepasst werden, so dass diese machbar und angemessen seien. Die Verschiebung der Abi-Prüfungen um neun Tage nach hinten sei in diesem Zusammenhang sehr plakativ, so Schramm. Das Zentralabitur müsse bleiben, aber reduziert um mögliche Themen. Hier bräuchten die Schulen mehr Freiraum.

Keine Ehrenrunde für alle

Auch ein Freischuss bei den Prüfungen sei nicht im Sinne der Schülervertretungen. Gleichwohl: Wenn der Durchschnitt in den Prüfungen schlechter als bisher sei, dann sollten die Noten angehoben werden. Das sei bereits in 2020 in Sachen beim Mathe-Abitur praktiziert worden. “Wir plädieren für eine Art Rettungsschirm für Abiturient:innen”. meint Schramm.

Für alle eine Ehrenrunde? Das sei schon aus organisatorischer kein Thema, das würde die Klassen überlasten. Die Schüler hätten in diesem Jahr trotz allem etwas geleistet. Das müsse anerkannt werden. Und keiner dürfe sitzenbleiben – dies sei im Prinzip ok, um Druck von den Schüler:innen zu nehmen. Aber es gebe sicherlich Einzeilfälle, wo das Sitzenbleiben aus pädagogischer Sicht sinnvoll sei.

Dario Schramm ist beim Thema Home Schooling als Generalsekretär der Bundeschülerkonferenz ein gefragter Interviewpartner. Auch im ZDF Morgenmagazin positionierte er sich aus Sicht der Schüler:innen, Foto: Screenshot ZDF Mediathek

Fazit: “Zurück in die Schule!”

Natürlich ist auch die Öffnung der Schulen für Dario Schramm ein Thema. Die Fortsetzung des Distanzunterrichts sei in vielseitiger Hinsicht gefährlich. Aber: “Eine rasche Öffnung der Schulen ist ein schmaler Grat.”

Der Lockdown geschehe aus der Perspektive des Gesundheitsschutzes. Nur: Gesundheitsschutz sei mehr als nur der Schutz vor dem Virus. “Gesundheitsschutz bedeutet nicht nur Corona auf Biegen und Brechen einzudämmen, Gesundheitsschutz muss auch andere Krankheiten verhindern.”

Die psychische Gesundheit sei bei 30 Prozent der Schüler:innen beeinträchtigt, sie fühlten sich zunehmend alleine und machten sich Sorgen. “Aufstehen, arbeiten, Zeit totschlagen, am nächsten Tag wieder dasselbe – dies ist für jeden Menschen eine enorme Belastung.” Schüler:innen würden daher stark dafür plädieren: “Wir möchten wieder in die Schulen.”

Lüfter für alle… Abgeordneten

Klar sei dies derzeit utopisch, aber es muss verantwortlich angegangen werden. “Gemeinschaftlich auf Abstand!” Am besten würde dies mit Wechselmodellen funktionieren: Die Klassen sollten halbiert werden, der Unterricht finde in A- und B-Wochen statt.

Für Kopfschütteln sorgt das Thema Lüftung: “Im Landtag in Düsseldorf sah ich Hightech-Lüftungsgeräte. Ein Abgeordneter meinte, diese seien da um die Sitzungen mit geringerem Abstand durchführen zu können. Dass wir vor diesem Hintergrund in den Schulen noch mit Lüftung arbeiten – das spricht für einiges”, fasst Schramm seine Sichtweise bei den Prioritäen der Schulpolitik zusammen.

Beitragsfoto: Dario Schramm © Blackbird Visuals

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