BUCHTIPP XV: DEUTSCHER JUGENDLITERATURPREIS 2020

Nominierungen der Jugendjury

VON MARIE-LOUISE LICHTENBERG

An einem heißen Junitag in Kalifornien dreht Alyssa den Wasserhahn auf, doch außer einigen bizarren Geräuschen, die der Hahn von sich gibt, passiert nichts. Der Colorado River ist trocken und ein ganzer Bundesstaat der USA hat kein Wasser mehr. 

Die Haupthandlung des Buches folgt fünf Jugendlichen, die auf sich gestellt sind und jeweils individuell und doch gemeinsam, in einer sich schnell und unerwartet wandelnden Welt um ihr Leben kämpfen. Sie erfahren am eigenen Leib, wie brüchig Demokratie und Zivilisation sind, sobald es um das reine Überleben geht. Im Fokus des Romans stehen Beziehungen, Selbstbehauptung, Mitgefühl, Manipulation und Mut. Was würde ich für eine Flasche Wasser tun? Diese Frage begleitet die Leserinnen und Leser von der ersten Seite des Buches an. Ein spannendes Abenteuer mit erschreckenden Parallelen zur Realität und beängstigenden Szenarien. 

Durch die phantastisch klare und illustrative Sprache der Autoren entstehen Bilder in den Köpfen der Leserinnen und Leser, die einen nicht mehr loslassen und welche die oftmals beklemmende Stimmung beunruhigend realistisch einfangen. Dry ist packend durch seine mitreißende Dynamik und seine Aktualität, welche die Folgen des Klimawandels auf einer sehr persönlichen Ebene abbildet.

Neal & Jarrod Shusterman • Dry • Aus dem Englischen von Pauline Kurbasik und Kristian Lutze • Fischer Sauerländer • ISBN 978–3–7373–5638–1 • 15,00 € • Ab Vierzehn

Egal, wo „sier“ hinkommt, Sasha fällt auf: ob in der Schule, in der Stadt oder im Bus. Als Agender entspricht „sier“ nicht dem stereotypen Bild eines jungen Mannes. Verstärkt wird dies durch „sieren“ Kleidungsstil. Genau dieser zieht die Aufmerksamkeit von Richard und seinen Freunden auf Sasha. Als Richard, ein afroamerikanischer Jugendlicher, aufgewachsen in schwierigen Verhältnissen, im Bus neben Sasha mit einem Feuerzeug zündelt, gerät mehr oder weniger absichtlich Sashas Rock in Brand. Die folgenden Stunden werden für beide zur Hölle. Ein unaufhaltsamer Shitstorm bricht über Richard herein und die Medien versuchen, die beiden Jugendlichen in ein Täter-Opfer-Schema zu drängen. Der unfaire Umgang der Justiz mit Richard als afroamerikanischem Jugendlichen verschärft den Konflikt. 

In Bus 57 arbeitet Dashka Slater einen realen Fall auf, anhand dessen vor allem klischeebehaftete Rollenbilder in Frage gestellt werden. Ohne zu be- und verurteilen, beleuchtet die Autorin sämtliche Aspekte der komplexen Situation. Nebenbei gibt sie jedem Gender eine Stimme. Kategorien wie Schuld und Unschuld, Gut und Böse, weiblich und männlich lassen sich nicht anwenden – das fordert heraus und fasziniert. Die Autorin wählt gekonnt eine Erzählform, bei der Dokumentation und sensible Erzählung miteinander verwoben sind. Dabei bleibt Slater voller Empathie nah an Sasha und Richard. 

Dashka Slater • Bus 57 • Aus dem Englischen von Ann Lecker •  Loewe • ISBN 978–3–7432–0363–1 •18,95 € • Ab Vierzehn

Der Titel „Bus 57“ ist doppelt nominiert, von der Kritikerjury in der Sparte Jugendbuch und von der Jugendjury. Die Jurys arbeiten unabhängig von einander. Deshalb kommt es manchmal zu solchen Doppelnominierungen.

Die Texte stammen von den jeweiligen Jurys.

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