Ehrfurcht vor dem Leben

Ein Wort zum Montag, dem 2. März 2020 

VON CORNELIA SENG

Ja, ich lebe gerne! Ich freue mich an dem zarten Gezwitscher der Vögel jetzt wieder, an der Pracht der Schneeglöckchen, und ich bin gespannt auf das Knospen der Bäume im Bergpark. In Wermelskirchen war unser Kater Findus wichtig für mich, manchmal habe ich ihm nur beim Fressen zugeschaut und dabei ein stilles Glück gespürt. Ein Mensch zu sein mit allen Sinnen, ein Teil dieses großen Ganzen zu sein auf der Erde, das tröstet mich und macht mich glücklich. Ich kleiner, einzelner Mensch habe einen Platz inmitten dieses ganzen großen Universums, das lässt mich staunen und macht mich ehrfürchtig. Ich überblicke das Ganze nicht, ich ordne es nicht, ich halte es nicht in Gang, – ich darf einfach das Leben genießen inmitten des großen Lebens, ja ich bin ein Teil davon. 

Albert Schweitzer Denkmal in Weimar © Cornelia Seng

Albert Schweitzer bewundere ich sehr. Von ihm stammt der Slogan: „Ehrfurcht vor dem Leben!“ Und ich ahne, was er damit meinte: Ich bin ein Teil von Gottes guter Schöpfung, in der alles mit- und voneinander lebt. Ich bin nicht alleine auf der Welt. Wie sehr bin ich doch angewiesen auf andere, abhängig von anderen, damit mein Leben gelingt! Angefangen von der mehr oder weniger gesunden Luft, die ich atme; den Lebensmitteln, die andere produzieren, bis hin zum Austausch von Einsichten und Gedanken. 

Aus der Albert-Schweitzer-Gedenkstätte Weimar, © Cornelia Seng

„Ehrfurcht vor dem Leben“, das bedeutete für Albert Schweitzer auch: Mit aller Kraft dem Leben zu dienen und sich für die Erhaltung des Lebens einzusetzen. In Lambarene in Afrika hat er ein Urwaldkrankenhaus aufgebaut, durch Orgelkonzerte in Europa hat er selber die Gelder dafür zusammengebracht. Später warnte er eindringlich vor der Gefahr der Atombombe.

Wo fängt die Selbstbestimmung über mein Leben an, und wo hört sie auf? Bin ich der „Herr“ über mein Leben? Bei Beerdigungen sagen wir: „Gott, der Herr über Leben und Tod, hat N.N. zu sich gerufen.“ Das tröstet, das gibt diesem Leben seinen Platz in dem großen Ganzen.

Esther Bejarano, gut neunzigjährige Überlebende des Holocaust, ist noch heute unterwegs mit jiddischen Liedern gegen die Nazis, wie z.B. „Mir leben ejbig – wir leben ewig!“ Herr über mein Leben und meinen Tod ist Gott alleine. Nicht ich, nicht die Nazis, noch sonst jemand, der mir Böses tun will, Gott alllein verfügt über den Beginn und das Ende meines Lebens. 

Ich fürchte, mit dem aktuellen Urteil des Bundesverfassungsgerichtes wird es nicht leichter, Ehrfurcht vor dem Leben verständlich zu machen. Verständlich zu machen, was es heißt, mit aller Kraft das Leben zu lieben und sich für ein gelingendes Miteinander aller Lebewesen auf dieser Erde einzusetzen.

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