Die SPD diskutiert wieder

VON WOLFGANG HORN

Wermelskirchen | Zur Rarität sind sie geworden, die öffentlichen Gesprächsangebote, die offenen Diskussionsrunden außerhalb des hermetischen Kreises rund um den eigenen (Partei-)Nabel, die lokale Gliederungen der Parteien aus dem demokratischen Spektrum den Bürgerinnen und Bürgern zur kontroversen Debatte anbieten. Gestern war es mal wieder soweit: Die SPD hatte geladen, nach Dhünn, ins Hotel zur Post. Zum Thema der Sinnhaftigkeit und der Gerechtigkeit von Straßenausbaubeiträgen, die Anlieger von kommunalen Straßen zu übernehmen haben.

Etwa dreißig Menschen waren der Einladung gefolgt, Parteimitglieder und Mandatsträger der SPD, natürlich, und Bürger ohne jedes Parteibuch sowie der Bürgermeister, Rainer Bleek. Zudem auch zwei stadtbekannte FDP-Verantwortliche, Stephan Theil und Marco Frommenkord, die auch noch spät nach dem offiziellen Programm das Gespräch mit dem politischen Wettbewerber suchten. 

Als fachkundigen Referenten konnten die hiesigen Sozialdemokraten Sven Wolf aufbieten, den Remscheider Landtagsabgeordneten und stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD im Düsseldorfer Landtag.

Sven Wolf

Wolf führte kenntnisreich und kompetent ins Thema ein, nachdem er zuvor deutlich gemacht hatte, daß seiner Ansicht nach das Ergebnis der Europawahlen für die SPD verheerend war und es deshalb vor allem darum gehen müsse, weniger beständig den Kompromiss zu formulieren, als eine deutlich eigene Kontur als Sozialdemokratische Partei zu finden. Dies könne gelingen, wenn man sich wieder stärker auf die „Grundversprechen“, wie er es nannte, der SPD besinne, nämlich etwa auf das Versprechen des sozialen Aufstiegs, wenn man sich anstrenge, leistungs- und bildungsbereit sei; daß man ein weitgehend sorgenfreies Alter genießen können müsse, wenn man sein Leben lang hart gearbeitet habe; daß die Politik dafür zu sorgen habe, daß es ausreichend bezahlbaren Wohnraum geben müsse, damit nicht etwa die Metropolen und Regionalzentren des Landes für normalverdienende Menschen unbewohnbar werden.

Straßenausbaubeiträge von Anliegern sind durchaus sehr umstritten. Das zeigen nicht nur die 463.000 Unterschriften, die der Bund der Steuerzahler und Haus&Grund, der Verband das Hausbesitzer und Immobilienwirtschaft, gegen diese Beiträge bislang zu mobilisieren vermochten. In vier Bundesländern gibt es diese Abgabe gar nicht, drei andere Länder haben beschlossen, diese Belastung für die Bürger abzuschaffen. Wolf legt dar, daß fast alle finanzielle Berechnnungen von Fachleuten ergeben hätten, daß in aller Regel etwa der Hälfte der Erlöse aus diesen Anliegerabgaben Aufwand und Personalkosten entgegenstünden, daß die Kommunen mithin vielfach nicht mit dem erwünschten finanziellen Effekt rechnen könnten.

Sven Wolf und Petra Weber, Vorsitzende des SPD-Ortsvereins

Auf die berechtigte Frage, warum die SPD nicht in der Landesregierung schon beschlossen habe, die Anliegerbeiträge der Kommunen vom Land zu übernehmen, wie es jetzt von vielen Seiten gefordert werde, nicht zuletzt auch von der oppositionellen SPD, verwies Sven Wolf vor allem auf die seinerzeit viel knappere finanzielle Lage des Landes.

Umgekehrt legten die beiden Vertreter der Freidemokraten dar, daß ihr Orts- sowie der Kreisverband bei der gegenwärtigen Landesregierung und der Landesspitze der FDP vorstellig geworden seien, den Kommunen zur Seite zu stehen und die Anliegerbeiträge vom Land übernehmen zu lassen, weil die Abgabe selbst auch höchst ungerecht sei, wenn Anlieger zahlen müßten, andere Straßennutzer hingegen nicht.

Im Zuge einer durchaus munteren Debatte wurde zudem eine Reihe weiterer Themen behandelt, etwa die kommunalen Altschulden, vor allem durch die Kassenkredite bewirkt, die steuerpolitischen Vorschläge, die der ehemalige SPD-Finanzminister, Norbert Walter Borjans, kürzlich vorgelegt hatte, die Frage des steuerlichen Umgangs in Europa mit den großen Internetgiganten, Starbucks, Amazon, Apple oder Google und Facebook, die Behandlung des Bedarfs von Kindern und Jugendlichen und die Anrechnung des Kindergeldes bei Hartz IV-Empfängern oder wie man das Gemeinwesen dauerhaft finanzieren könne, wenn der Faktor menschlicher Arbeit gegenüber Künstlicher Intelligenz und Robotik an Bedeutung verliere.

Kurzum: Guter Besuch und rege Beteiligung an einer Veranstaltung, die Zuspruch fand und ein keineswegs unwichtiges kommunales Thema behandelte. Aber: Auch eine Runde, die das Dilemma der SPD, vielleicht gar der Volksparteien an sich, deutlich machte. Sprachlosigkeit, Ahnungslosigkeit, auch Unwille, wenn es um die Kritik des Bindungsverlustes der Partei, der Parteien, um die zunehmende Bedeutungslosigkeit bei den Menschen unter 60 Jahren geht. Die SPD hat, wie auch CDU oder FDP, eben keine lokale Diskussion zur Gestaltung Europas geführt, keine auch zur europäischen Urheberrechtsnovelle und den Uploadfiltern und selbstverständlich ebenfalls keine öffentliche Debatte der Klimaproblematik sowie der Schülerproteste Fridays for Future angeboten. Rezo hat sicherlich keinen Begriff vom Sprachungetüm der Anliegerstraßenausbaubeiträge. Noch nicht. Und: die Rezos sind überall. Auch im beschaulichen Wermelskirchen.

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