Post von Karl-Heinz

VON WOLFGANG HORN

Hasnain Niels Kazim berichtet normalerweise für den Spiegel aus Wien und dem politischen Innenleben der österreichischen Republik. Gestern Abend berichtete er indes in der Kattwinkelschen Fabrik aus dem teutonischen Innenleben der deutschen Republik. 

Täglich erreichte ihn, den vermeintlichen Pakistani und Muslim, hasserfüllte Leserpost. Etwa 1000 (!) Mails landeten Tag für Tag in seinem Rechner. Verfaßt, ausgekotzt und mit einer Unmenge von Ausrufungszeichen versehen von Rassisten, Schreihälsen, Rechtsextremen, Querulanten, Flüchtlingshassern, Unzufriedenen, Merkelabschaffern, gebildeten und ungebildeten Vollidioten, zu-kurz-Gekommenen, Frustrierten, Benachteiligten und Privilegierten, Professoren oder Pegidisten. Versehen oft gar mit Klarnamen und Anschrift. Doch statt die Wutmails einfach wegzuklicken, hatte er beschlossen, zurückzuschreiben – schlagfertig, witzig und immer wieder überraschend und hintergründig, woraus sich wieder und wieder erhellende Dialoge ergaben. »Wenn wir schweigen, beginnen wir, den Hass zu akzeptieren. Also, reden wir!«

Zwei Jahre lang, von 2016 bis Ende 2017, führte Niels Kazim auf diese Weise 854 ganz unterschiedliche Dialoge. 52 von ihnen hat er in seinem Buch veröffentlicht, aus dem er gestern einige Passagen zum Besten gab.

Wie antwortet man auf eine Post, in der es eingangs heißt: „Wir Deutsche müssen mit Euch Muslimen das Werk fortsetzen, das wir mit den Juden begonnen haben“? 

Alle Schreiber haben den zweiten Vornamen Kazims gänzlich übersehen: Niels. Kazim ist Deutscher, wie man nur Deutscher sein kann. Geboren in Deutschland, aufgewachsen in Hollern-Twielenfleth, zur Schule gegangen in Deutschland, in und mit der evangelischen Kirche groß geworden, sechs Jahre lang Marineoffizier, Studium in Deutschland, mehr noch: an der Bundeswehrhochschule in Hamburg, verheiratet mit einer blonden Deutschen, preisgekrönter Journalist, zuvor Kandidat für die FDP bei einer Landtagswahl. All das haben Karl-Heinz und die anderen Briefeschreiber übersehen.

Lediglich seine Eltern sind indisch-pakistanischer Herkunft und sein Name klingt nicht nach Müller, Meier oder Schulze.

Die als Lesung getarnte Lektion in Sachen politischer Bildung, die die Kattwinkelsche Fabrik mit Hasnain Kazim gestern im Programm hatte, hätte gewiß mehr als die etwa dreißig Seminarteilnehmer verdient, gab es doch einen verstörend-ungeschminkten Einblick in die Abgründe einer Gesellschaft, in der ohne jeden Anstand und oft ohne jeden Verstand geschimpft und beleidigt wird, in der Schmähen offenbar der gute Ton ist. Kazim als schlagfertiger Schreiber versteht es, auch der aberwitzigsten Haßattacke standzuhalten und Dialoge zu entfesseln, die man so noch nicht lesen oder hören durfte.

Doch wirklich befreiend kann das Lachen meist nicht sein. Das Erschrecken darüber, daß heute dreist öffentlich formuliert wird, was lange Jahre schamvoll verschwiegen werden mußte, bleibt. Wie gerne rettete man sich ins Lachen, um nicht völlig in der Scham zu versinken.

Dank an die Verantwortlichen der Kattwinkelschen Fabrik um Achim Stollberg für einen unterhaltsam-lehrreichen Abend zwischen Seminar und Kabarett, zwischen literarischem Salon und politischem Proseminar.

Hasnain Kazim • Post von Karlheinz: Wütende Mails von richtigen Deutschen – und was ich ihnen antworte • 272 Seiten • Penguin Verlag • 978-3328102724 • Euro 10

(Beitragsfoto: Ot: Hasnain Kazim auf der Frankfurter Buchmesse am 17. Oktober 2015 • CC BY-SA 4.0.)

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