Wermelskirchen: Gesicht gezeigt

Von Wolfgang Horn

Wermelskirchen | 85 Stühle waren im Haus Eifgen aufgestellt worden am vergangenen Freitag für die Gedenkveranstaltung anläßlich des 80. Jahrestags der Reichspogromnacht 1938, des ersten Höhepunkts der Judenverfolgung im Deutschland des Nationalsozialismus. Zu wenige, wie sich herausstellen sollte. Am Ende waren es mehr als 150 Menschen, die, dem Motto des Abends entsprechend, sich gemeinsam erinnern wollten an die Pogromnacht und die Verfolgung der Juden in Deutschland, die gedenken und Gesicht zeigen wollten.

Begonnen hatte es auf dem Marktplatz und vor der evangelischen Stadtkirche, wo weit mehr als 100 Menschen Kerzen entzündeten als Symbol für die von den Nazis ausgelöschten Leben.

Pfarrerin Almuth Conrad und der Theologiestudent Tim Philipp gedachten der Millionen Toten, auch der Wermelskirchener Bürger, die durch die Nazis zu Tode gekommen waren und an deren Schicksal heute noch Stolpersteine erinnern. Alle Menschen hätten die gleiche menschliche Würde und verdienten den gleichen Respekt. Unabhängig von Hautfarbe, Rasse oder Religion, so hieß es in der Andacht.

In einem imposanten und effektvollen Fußweg wurde das Lichtermeer der vielen Kerzen ins Haus Eifgen getragen, wo eine ungewöhnliche und eindrucksvolle Ausstellung über die Pogrome in Wermelskirchen und der Bergischen Region auf die Besucher wartete. Es bildete sich, zum ersten Male seit vielen, vielen Jahren, eine lange Schlange von Menschen, die geduldig darauf warteten, das Haus Eifgen betreten zu können.

Es folgte eine szenische Lesung des Kammertheaters Rheinland, Wolfgang Müller-Schlesinger und Michael Meierjohann: „Empfänger unbekannt“, im Original “Adress unknown” wurde von der amerikanischen Autorin K. Kressman Taylor bereits 1938 (!) verfasst und bietet in dem zunehmend dramatischen Briefwechsel der anfangs befreundeten Geschäftspartner Martin Schulse und Max Eisenstein eine exakte Analyse des gesellschaftlichen Wandels in Deutschland zur Zeit von Hitlers Machtübernahme.

Mehr noch: Es stockt einem der Atem, wie Elke Heidenreich über diesen Text schrieb. „Es war und ist eine Sensation dieses Buch über den Tod einer Freundschaft, den Tod zweier Menschen, den Hass, die Dummheit, die Rache. Diese Erzählung ist perfekt und unvergesslich.” In der Tat. Es stockte der Atem, zwischenzeitlich hätte man im überfüllten Haus Eifgen, in dem viele Besucher nur einen Stehplanz einnehmen konnten, die berühmte Stecknadel zu Boden fallen hören können. Eine imponierend-tiefgehende Leistung der beiden Schauspieler, die zu Recht den Applaus des ganzen Hauses erhielten.

Eine Gesprächsrunde mit den Schauspielern sowie Joachim Schulte und Thomas Wintgen, die, mit anderen, wesentlich an der Erstellung der Ausstellung beteiligt waren, moderiert von Uwe Engelbracht, schuf dann die Möglichkeit für das Publikum, die eigenen Eindrücke zu schildern. Es ging um die Frage von Moral und Schuld. Hätte man selber in diesen Zeiten schuldlos bleiben können?

Der Sprecher der hiesigen AfD beteiligte sich an der Debatte, ohne allerdings kenntlich zu machen, daß er eine Partei vertritt, die das Gedenken an die Judenverfolgung schmäht. Dazu hat der Mut wohl nicht gereicht. Am Freitag war in Berlin ein AfD-Funktionär mit einer blauen Kornblume, dem geheimen Erkennungszeichen der Nazis in Österreich, am Revers bei der Gedenkveranstaltung erschienen. Andere haben die Gedenkstätte in Berlin als „Mahnmal der Schande“ bezeichnet, Führer der Partei fordern eine komplette „Wende der Erinnerungskultur“. Einhellig nahmen die Besucher gegen die AfD Stellung. Wir alle müßten die Werte unseres Landes gemeinsam verteidigen gegen jene, die das Land spalten wollen, die gegen Minderheiten hetzen, die den gesellschaftlichen Diskurs durch eine Verrohung der öffentlichen Sprache beschweren. So der Tenor der Diskussionsbeiträge.

Das Ganze war eine Gemeinschaftsveranstaltung der Kulturinitiative Wermelskirchen e.V. mit der Evangelischen Kirchengemeinde und dem Bergischen Geschichtsverein Wermelskirchen sowie dem Verein für Bergische Zeitgeschichte (BZG) unter der Schirmherrschaft von Bürgermeister Rainer Bleek. Teil des gemeinsamen Unternehmens war auch die Buchhändlerin Gabi van Wahden, die eine informative und dem Thema angemessene Buchauswahl auf dem Tresen des Hauses Eifgen präsentierte, sozusagen einen Büchertresen statt eines Büchertischs. Ausgedacht, geplant, vorbereitet und den ganzen Tag gestemmt haben viele, viele Ehrenamtliche aus Wermelskirchen, ohne jede professionelle Hilfe oder Unterstützung. Die Stadtsparkasse hatte einen Zuschuß zugesagt. Ob die Gesamtkosten gedeckt werden können, steht derzeit noch nicht fest.

Eine grandiose Veranstaltung. Einmalig in der jüngeren Geschichte der Stadt. Eindrucksvoll nicht nur die Leistung der Träger und Organisatoren. Bewegend war für mich die Teilnahme so vieler Menschen, nicht nur der älteren Semester, auch Jugendliche und junge Erwachsene hatten sich eingefunden. Imponierend und auch vorbildlich,  daß kulturell tätige Vereine, die Kulturinitiative und die beiden Geschichtsvereine in der Stadt sowie die evangelische Kirchengemeinde ein solch machtvolles Ereignis auf die Beine stellen konnten und auf eine derartige Resonanz in der Stadt getroffen sind.

Ein schönes Zeichen der Hoffnung, wenn es gilt, die Demokratie zu verteidigen, wenn es darum geht, nicht zuzulassen, daß in Deutschland wieder Minderheiten verfolgt werden, Fremde, Andersartige, wenn die Bürgerrechte, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, die Religionsfreiheit, die Presse verteidigt, wenn Rechtsradikale oder völkische Nationalisten in die Schranken gewiesen werden müssen.

Ein Letztes noch: Das Haus Eifgen wird noch Stühle anschaffen müssen. Wir alle sollten es dabei unterstützen.

Kommentar (1) Schreibe einen Kommentar

    • Silke Henk-Wilkens
    • 11.11.18, 18:15 Uhr

    Es ist wunderbar was Haus Eifgen und seine Wirkenden da auf die Beine stellt. Auf jeden Fall weiter so!

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