“Es gibt kein Haus mehr, kein Möbelstück, vielleicht ein paar alte Fotos und das was sie auf dem Leib tragen.”

Villingen-Schweninngen | Die Stuttgarter Zeitung hat am 17. September unter dem Titel: „Wer von einer Flüchtlingskrise redet, lügt“ ein Interview mit dem demnächst aus seinem Amt scheidenden Oberbürgermeister der 85.000-Einwohner-Stadt Villingen-Schwenningen, Rupert Kubon, veröffentlicht. Kubon, zunächst in der Schüler-Union politisch sozialisiert, verließ wegen seiner Kriegsdienstverweigerung die CDU und kam 1989 zur SPD. Seine Amtszeit endet mit dem Jahreswechsel. Kubon ist katholisch, verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter.

Nach 16 Jahren im Amt des Oberbürgermeisters will der nunmehr 61-jährige Kubon katholischer Diakon werden und ist aus diesem Grund bereits vor einiger Zeit in die insgesamt sechs Jahre dauernde Ausbildung eingestiegen.

Kubon hatte diesen Berufswunsch noch mit seiner Mutter besprechen können, die er in ihrem Sterbeprozess begleitet hat. Das habe seinen Entschluß „entscheidend befördert“. Er wolle in den Bereich der Krankenhaus- und der Sterbeseelsorge gehen, wo er großen Bedarf sehe.

Von Januar an werde er Integrations- und Alphabetisierungskurse für Flüchtlinge erteilen, denn er müsse „ja ausgelastet sein“. Das Thema der Flüchtlinge sei ihm wichtig, seit er die elterlichen Erfahrungen ihrer Flucht aus Schlesien aufgenommen habe.

„Meine Mutter hat mir erzählt, wie sie 1946 nach Lüdenscheid kam und wie sie dort von den Menschen aufgenommen oder besser nicht aufgenommen wurde. Es ist ganz schwierig, keine Heimat zu haben, in die man zurück kann. Es gibt kein Haus mehr, kein Möbelstück, vielleicht ein paar alte Fotos und das was sie auf dem Leib tragen. Das ist das, was Flüchtlinge auch heute erleben. Und hinzu kommen noch die traumatischen Erfahrungen der Flucht und jetzt die fehlenden Sprachkenntnisse.“

Deutschland habe im Verhältnis zu seiner Größe gerade mal ein paar Menschen aufgenommen. Wenn man das mit der Situation in Jordanien, im Libanon, in der Türkei vergleiche, sei das beim deutschen Potenzial nicht viel.

„Ich muss das so hart sagen: Jede Behauptung, wir hätten eine Flüchtlingskrise, ist eine Lüge. (…) Dass es eine Herausforderung ist, Menschen aufzunehmen, das ist klar. Die müssen wir bewältigen, aber die können wir auch bewältigen, und das tun wir gerade. Aber ob wir alle aufnehmen können, ist die vollkommen falsche Fragestellung. Die Frage ist doch: Wie gehen wir mit denen um, die zu uns kommen? Wie können wir humanitär wirken? Das tun wir gegenwärtig nicht. Das ist ein Skandal. Das ist ein Krieg, den wir gegen Menschen führen, die im Mittelmeer ertrinken, und ich halte das für völlig inakzeptabel.“

Ironischerweise sei die Bevölkerung dort am meisten überfordert, wo es die geringste Zuwanderung gibt. „In Villingen-Schwenningen haben wir einen Ausländeranteil von rund 17 Prozent. Wir haben Menschen mit einem Migrationshintergrund mit einem Anteil von 37 Prozent. Ich habe nicht das Gefühl, dass es dadurch zu grundsätzlichen Problemen kommt.“

Das Thema Migration müsse zu einem normalen Thema gemacht werden. Historisch betrachtet lebten Gesellschaften von Zuwanderung und Veränderung. Zu glauben, man könne sich abschotten, sei ein grundsätzlicher Irrtum. „Zu- und Abwanderung können Sie mit chinesischen oder anderen Mauern nicht verhindern“.

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