Film-Eck Wermelskirchen: 40 Jahre Rockpalast

Peter Rüchel meets ‚78 Twins‘ –  ein unvergesslicher Abend

Als Kulturinitiative wollen wir Kulturprojekte in Zusammenarbeit mit lokalen Künstlern, Veranstaltern und Vereinen durchführen und fördern – dazu gehört auch die Erschließung und der Erhalt kultureller Veranstaltungsorte – als gemeinnütziger Verein ohne Gewinnerzielungsabsicht. Dieser Abend im Film-Eck war neben dem ORTIZ-Projekt ein weiterer Qualitätsnachweis unserer Arbeit und macht Lust auf mehr!

Ich bin nicht genug sachkundig in Sachen Rockmusik, um mich an einer fundierten inhaltlichen Beschreibung dieses außergewöhnlichen Abends zu versuchen. Stattdessen will ich mich bemühen, meine persönlichen Eindrücke dieses EREIGNISSES – denn er ist ein Ereignis, dieser Peter Rüchel – zeitnah, aber doch mit innerem Abstand zum faktischen Inhalt, zu schildern.

„Guck mal, wer da kommt, das sind ja alles Cracks!“ sagte Axel Heumann beim Anblick der zahlreichen bekannten Gesichter unter den Besuchern. Alt und Jung, Rock-, Punk- und Jazz-Liebhaber, Mitglieder des AJZ, aktive Musiker – um ein Peter Rüchel-Zitat auf die Frage nach der Quote zu benutzen: „Quote = 100 %: 100 % der lokalen Rockpalast-Interessierten sind erschienen!“

DSC08218-webEine passendere Umgebung als das Nostalgie-Kino „Film-Eck“ wird man lange suchen müssen, ebenso wie das Zusammenspiel zwischen den Repräsentanten dieser „Bewahrer des Guten“ – ‚Mr. Rockpalast‘ Peter Rüchel und den Eheleuten Schiffler, dem Ambiente des Kinos mit dem Hauch der Geschichte („Mensch, weißte noch, hier oben wurde geknutscht“) und der prämodernen Technik der 70er und 80er Jahre  („das ist kein Problem, das geht mit Diode“) mit einem Hauch von Aktualität („das läuft mit Windows 7 und Bluetooth“). Herr Schiffler hatte die Technik perfekt eingerichtet, sogar die Fernbedienung der Präsentation auf der gesamten Kinoleinwand funktionierte. Und nicht zuletzt dieses Zusammenspiel – und natürlich die rockenden 78er Zwillinge – hielt das zahlreiche Publikum (knapp 100 Besucher waren gekommen) bis kurz vor Mitternacht in den Sitzen – wenn sich die Reihen auch ab 23 Uhr bei sinkendem Altersdurchschnitt lichteten und der Biervorrat zu diesem Zeitpunkt schon ausgeschöpft war. Zitat Jürgen Thiel um 23:45 h: „…und morgen um viertel vor fünf wieder raus – aber das war es mir wert!“

PräsentationLesung mit Bildern? Es war keine Lesung, es war ein freier Vortrag, ein Film, der da mit (eigentlich nicht notwendiger) Hilfe von nur 31 handverlesenen Bildern entstand. Hier war ein Mann, der sein Lebenswerk immer noch lebt, seine Idee immer noch im Herzen trägt.  Schnell hatte Peter Rüchel die festgelegte Reihenfolge seiner Bildershow verlassen.

Es blieb oft nur ein Bild leinwandfüllend stehen –  während er immer tiefer in der Schatzkammer seiner Erinnerungen grub und ein Juwel nach dem anderen mit ungeheurer Detailtreue und Hintergrundwissen ans Licht brachte und so die Bilder in den Köpfen der Zuschauer entstehen ließen. Langatmig? Nur auf den ersten Blick und wenn man nicht hinhörte (wie kurzzeitig mancher Gast an der Theke im hinteren Teil des Kinosaales). In jedem Satz, in jedem Nebensatz  steckte Leben, Erleben, wurden alte Freundschaften (z.B. mit den anwesenden Manny Scherer und Till Hoheneder) wieder lebendig, die Umsetzung  damals (1976) undenkbarer Ideen nachvollzogen. Als er dann um 22:45 h den letzten Auftritt der Band mit den Worten ankündigte „…und danach verspreche ich, mit langen Schritten zum letzten Bild meiner Erzählungen zu kommen“ war klar, der Abend war noch lange nicht zu Ende.

…und Livemusik

Backstage

Blick aus der Loge

Und die ‚78 Twins‘ Benny Korn (Schlagzeug, Gesang), Bastian Korn (Piano, Gesang), Martin Ettrich (Gitarre), Sven Hiller (Bass) warteten immer – teils in der wunderbaren, als Backstage genutzten, Logenempore – geduldig auf die Gelegenheit (die mit Rüchel getroffene Vereinbarung der Begrenzung seiner Wortbeiträge auf 30 Minuten interessierte niemanden), dem Publikum die aus ihrer mitreißenden Mischung aus knackigem Funk, sanften Balladen und saftigem Rock passend zu Rüchels Erzählungen ausgewählten Stücke gekonnt und eben rockig in Kopf, Bauch und Beine zu spielen. Jede ihrer Einlagen wurde mit begeistertem Applaus belohnt. 78 TwinsFür uns übrigens ein Ansporn, die Jungs nochmal zu einem eigenen Konzert nach Wermelskirchen zu holen (warum nicht wieder ins Kino, wo man dann auch gleich ihren Film „Fast beinahe bekannt“ sehen kann?). Obwohl Sie das Programm schon seit einigen Jahren aufführen, lauschten die Musiker in den Pausen immer noch gebannt ihrem Freund auf der Bühne – und selbst sie waren immer wieder überrascht von neuen Details, die sie bisher noch nicht gehört hatten.

78 Twins im Film-Eck

40 Jahre Rockpalast – das gesellschaftliche, kulturelle und mediale Vakuum, das die 68er Umwälzungen hinterlassen hatte, begann sich langsam zu füllen, und so war es wie eine Kernschmelze der Ideengeber (Rüchel und seinem Team) und der Ideensucher (des WDR), als die Idee europaweit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen live zu übertragener Rockkonzerte entwickelt und realisiert wurde. Man wagte, man gewann – „wir waren sicher, wenn WIR von einer Band überzeugt sind, ist es das Publikum auch, und sei sie noch so unbekannt!“. ‚ROCKPALAST‘ – eine Namensschöpfung von Rüchels damaliger Sekretärin. Dieser Name war Qualität und Programm, eine Marke, die die Hallen füllte. Egal, wer kam – es war klar, dass das Programm gut war!

DSC08244-webRüchels Erzählungen machen die damalige Aufbruchsstimmung deutlich, den Lohn des Dickbrettbohrers, die Kraft, zu überzeugen, ‚dran‘ zu bleiben.  Beeindruckend die Prämisse: die Künstler und die Veranstalter sind Partner, ihrer bedingungslosen gemeinsamen und gemeinschaftlichen Hingabe an ihre Musik und ihre Ideen konnte sich kein Publikum und kein Programmdirektor entziehen. Alle Beteiligten gaben ihr Bestes ohne Rücksicht auf Verluste.  Da spielten die Spielstätten nur eine untergeordnete Rolle, wenngleich die Grugahalle in Essen den Blueprint lieferte. Eigene Überzeugungen leben, Widerstände erkennen und trotzdem Unmögliches wagen, mit Qualität und Wertschätzung der Partner Neues gestalten, das war das Erfolgsrezept, ohne dass man den Erfolg als einen wirtschaftlichen definierte. Der war quasi ein Nebenprodukt dieser EURO-VISION. Irgendwann, zu Beginn der 90er, kam allerdings auch die Quotenfrage vom neuen Programmdirektor der ARD. Die Musik veränderte sich, die Medienlandschaft veränderte sich, die privaten Fernsehsender boten attraktive Konkurrenzprogramme, und das Ende des inzwischen gemeinsam mit Alfred Metzger und Alan Bangs etablierten Rockpalastes in der bis dahin bekannten Form zeichnete sich ab. Abgelöst von ‚Rock am Ring‘, vom ‚Bizarre Festival‘ und vielen anderen wurden Massenveranstaltungen produziert und Bands mit Exklusiv-Verträgen geködert. Man konnte es Rüchel anhören: das waren harte Zeiten für ihn. Dennoch: innovativ wie eh und je, akzeptiert der immer noch aktive fast 80-jährige die Wandlung, sieht auch die Chancen neuer Medien und Formate und ist ihnen aufgeschlossen.  Danke, Peter Rüchel, für diesen Abend!

Das 1. Rockpalast-Plakat

Peter Rüchel und Thomas Behle

Und wie es bei einer richtigen Rocknacht sein muss: um kurz vor 11 gab’s kein Bier mehr („soll ich zur Tanke fahren und Nachschub holen?“). Und was war es schön, als Thomas Behle sein Original-Plakat des 1. Rockpalastes von Peter Rüchel signieren lassen wollte! „Das ist zu wertvoll, um es mit meiner Unterschrift zu verschmieren! Das ist wahrscheinlich ein Unikat und sollte so bewahrt werden!“ war Rüchels Meinung, der sich Thomas Behle dann gerne anschloss.

Eine vorsichtige Frage an Frau Schiffler um 23:30 h, ob das nicht zu lang wäre, wurde mit „das ist ja unglaublich spannend. Ich könnte noch stundenlang zuhören!“ beantwortet. Und als dann kurz vor Mitternacht auch die letzten Gäste – nicht ohne zuvor ihr Buch von Peter Rüchel signieren zu lassen – gingen, konnten alle Beteiligten sagen: „Erschöpft, aber glücklich!“

Fazit für die Kulturinitiative:
Der Abend machte mir Mut. Unser Verein hatte sich Anfang diesen Jahres gegründet, um das Katt-Bistro als überregional geschätzte kulturelle Begegnungsstätte und Garant besonderer Kleinkultur zu erhalten. Ähnlich wie Rüchels Ideen beim WDR waren ja schließlich die Ideen von Les Searle, dort eine Jazz-Session und jährliche Jazz-Nights auf drei Bühnen und von Michael Dierks, eine Blues-Session und jährliche Blues-Nights auf drei Bühnen zu installieren, zunächst beim Kulturchef der Katt auf fruchtbaren Boden gefallen, doch auch hier zählt – wie zum Schluss auch beim Rockpalast – „die Quote“, und im Bistro eben die Gastronomie. Und so kann die 14. Jazz-Night (nach 6-jähriger Unterbrechung) ebenso wie die 11. Blues-Night nicht mehr in der Katt stattfinden.

Das Team

v.l.: Sven Hiller, das KULT.IN.WK – Team, Frau Schiffler

Es ist ja nicht nur die eigentliche Veranstaltung, auch darin können wir uns in Peter Rüchels Erzählungen erkennen. Es ist die Summe der Dienstleistungen im Zusammenhang damit und das Miteinander der Akteure, die Vorbereitung, Werbung, Mitschnitte, Bilder, Videos, technische Betreuung, die Hingabe, es für Künstler,

Veranstalter, Techniker, Lokalbetreiber insgesamt attraktiv zu gestalten, das den dauerhaften Erfolg sichert. Wir freuen uns auf viele neue Spielstätten und Projekte (wie es z.B. das ORITZ Projekt war) in unserer Stadt und die Zusammenarbeit mit den lokalen Vereinen und Veranstaltern. Danke an unsere Mitglieder Thomas Behle mit Freundin, Axel und Susanne Heumann, Iris Körber für die aktive Unterstützung und die Schnittchen, und natürlich an Familie Schiffler, dass sie uns so herzlich aufgenommen und unterstützt hat.

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  1. Formidable. Eine fein formulierte, kenntnisreiche, empathische Würdigung des Mannes, des Abends, des Ortes und mithin auch des Veranstalters. Alle haben diese würdigende Kritik verdient. Der Mann, Peter Rüchel, zuvörderst, das Programm und seine Zutaten, Livemusik von den 78Twins und authentische Geschichten über Musik, Fernsehgeschichte, Jugendkultur, der Ort, das Film-Eck, und seine Betreiber, Christel und Klaus Schiffler, die in der Tat ein kulturelles Kleinod mitten in der Stadt betreiben, hegen, pflegen und immer wieder mit Veranstaltungsüberraschungen aufwarten. Dank an Alle. Und an die Kulturinitiative Wermelskirchen, die das Ganze erst möglich gemacht hat.

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